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ist der Führer der wilden Jagd. In heiligen Nächten fährt er, auf
weißem Rosse sitzend, mit seinem Gefolge über die Wipfel der vom
Sturmwinde geschüttelten Bäume hinweg Dann hört man Waffen—
lärm und Rossewiehern, Hufschlag und Hundegebell Auf den Schultern
des Gottes sitzen zwei weiße Raben, die ihm alles ins Ohr raunen,
was sie auf ihrem täglichen Fluge durch die Welt gesehen und gehört
haben Der Hochsitz, auf dem Wodan als Hausvater von Walhalla
thront, ist von Gold wie die ganze Halle; von hier aus über—
schaut er die ganze Erde und die Wohnungen der Menschen. Oft
aber steigt er aus herzlichem Mitgefühle hinab zur Erde und erscheint
als Wanderer gütig und freundlich in der Sterblichen Mitte, um ihre
Tugend, namentlich ihre Gastfreundschaft zu prüfen. Dann trägt er
nicht die strahlende Schlachtrüstung, sondern einen weiten blauen Mantel
und einen breitkrempigen Hut. Gern erlaubt er dann denen, die er als
gut erprobte, sich etwas zu wünschen. Wie er Wissen, Wahrsagen,
Dichtkunst und Kriegführung den Menschen geschenkt hat, so verleiht er
dem Schiffer günstigen Wind, dem Würdigen Reichtum, dem Spieler
glücklichen Wurf, dem Hofherrn Gedeihen des Viehes, so giebt er vor
allem der Feldsaat fruchtbares Wetter und völlige Reife. Daher war
es noch bis in die jüngste Zeit in Mecklenburg und in anderen Gegen—
den Sitte, bei der Ernte ein Ährenbüschel im Fruchtfelde ungeschnitten
stehen zu lassen, den sogenannten Wodansanteil, um den die Schnitter
herumtanzten und sangen: „Wode, Wode, hol dinem Rosse Voder!“
Der zweite Gott ist der Sohn Wodans, der rotbärtige Donar,
wie sein Name sagt, der Donnergott. Er ist seines Vaters ältester
und kraftvollster Sproß. Stets ist Donar bereit, Göttern und Menschen
mit seiner Macht zu helfen, und die letzteren liebt er vor allem. Von
ihm kommen die segnenden, fruchtbringenden Gewitter; die verderblichen
Blitze gelten nicht den Sterblichen, sondern den Riesen. Dann fährt
er auf dem rollenden Wagen daher, der von Böcken gezogen wird, die
wie der Blitz im Zickzack laufen. In der Rechten hält er den zer—
schmetternden Hammer, der nach jedem Wurfe von selbst in seine Hand
zurückkehrt. Ehrfurchtsvoll läßt auch der Mensch Arbeit und Mahlzeit
stehen und bebt vor dem gütigen Gott, solange er blitzt und donnert.
Dann aber, wenn der milde Regen niederströmt, der die Luft reinigt
und die Saat zum Wachstum treibt, der Menschen und Tiere erquickt,
dann eilt der Mensch fröhlich hinaus, um seinem Wohlthäter zu danken.
Von den Bäumen war ihm die Eiche heilig, eine der berühmtesten stand
bei Geismar in Hessen; auch viele Berge weihte man ihm, so den
Donnersberg in der nördlichen Rheinpfalz. Von den Tieren galt ihm
das Eichhörnchen als geheiligt, weil es blitzartig springt und rotes Haar