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das Herz an einen öden, für jeden Fremden so schaurigen Fleck 
gefesselt ist? Wir sprechen hier von der eigentlichen Küste, von dem 
Flugsands, der das Marschland umsäumt, das wieder von der 
höheren Geest begrenzt wird. Hier sprießt kein Laubreis; hier grünt 
kein Saatbeet. Was heute ein winziges Gras deckt, das vom Vieh 
abgeweidet wird, ist morgen wieder ein vom Winde bewegtes Wasser. 
Wenn so die See anschwillt und gleichsam gegen die Küste Sturm 
läuft, dann ragen die Wohnungen der Strandmenschen aus den 
schäumenden Wogen empor, wie Wracke auf blinden Klippen und 
Scheeren. Manche Hütte wird weggespült; aber die Bewohner 
bleiben doch in den andern! Man wartet getrost sein Schicksal ab. 
Aber worauf warten sie? Warum bergen sie sich nicht in sichere 
Stätten? Warum ziehen sie nicht hin, wo schwere Frucht die Mühe 
des Landmanns belohnt, wo sich die blumenreichen Wiesen bis zum 
luftigen Laubwalde dehnen, wo den Rebenhügel das Kornfeld um- 
giebt, wo der Mensch in Wohlstand und Zufriedenheit, ohne alle 
Fährlichkeit, das Ziel seiner Tage erreicht? Der Küstenbewohner 
bleibt uns die Antwort nicht schuldig, aber er spricht sie nicht aus; 
er'ist wortkarg. Er lächelt uns still und innig beseelt aus den 
großen, blauen Augen an, beißt herzhaft in sein Schwarzbrot, das 
er mit Butter bestrichen hat, kehrt dann den Blick zum Himmel und 
läßt ihn ruhig und gleichgültig auf das Meer hinausschweifen. Er 
bleibt! — Der Herr des Meeres und des Himmels wird ihn be¬ 
schirmen! So baut auch der Gebirgsmensch da, wo er geboren, 
seine Hütte und will neben ihr begraben sein, und hinge der Fels 
noch so dräuend darüber hin, und drohte die Lawine auch jeden 
Herbst und Frühling Zerstörung. Je weniger man hat, desto mehr 
liebt man das Wenige. Es ist, als ob eine gütige Vorsehung große 
Entbehrungen durch größere Zufriedenheit ausgleichen wolle. 
4. Die Insel Rügen. 
Das Dampfschiff führt uns aus der Swine heraus. Zu beiden 
Seiten schwinden die User von Usedom und Wollin mit ihrem weißen 
Sande, und die Molen (Steindämme) werdeil immer kleiner und 
kleiner. In alten Zeiten stand auf Wollin die große und blühende 
Handelsstadt Julin, die aber im Kriege zerstört worden ist. Auf 
Usedom lag die weit berühmte Stadt Wineta, die bei einem heftigen 
Anprall des Meeres von den Wellen verschlungen worden sein soll. 
Jetzt fahren die Schiffer über die versunkene Stadt dahin, und in 
den Trümmern mögen wohl die Fische hausen. Die Fischer aber 
erzählen, daß man bei klarem Wetter unten die Stadt sehen und 
ein wunderbares Geräusch wie von großem Getümmel vernehmen 
könne. — Kaum sind die Ufer den Blicken im Osten verschwunden, 
so taucht im Westen die Insel Rügen als dunkle, tief am Himmel
	        
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