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Fläche, aus der hier und da Krüppelkiefern ihre Spitzen heben und aus schwarzen 
Rauchlöchern der Schornstein einer halb verschütteten Hütte raucht. Bache. 
Meer und Hügel sind verschwunden; ringsum todtes Schweigen. Die Möven sind 
verschwunden, nur Krähen und Raben fliegen mit trägem Flügelschlag über Haide, 
Feld und See. Da das Meer am Tage einen Theil der Eismaffen, welche die 
Nacht über sich bildeten, zerbricht und in wirren Haufen am Rande aufhäuft, so 
führt der Weg nach dem Meere über Eis- und Schneehügel, bis man im grünen 
Spalt das Meer broddeln und schäumen sieht und in der Ferne feine dunkle Streifen 
das offene Meer bezeichnen. Fern am Rande des Eises lauern die Jäger tnippen- 
weise, durch ein aufgerichtetes Boot mühsam gegen den Nordwind geschützt, um 
den Seehund zu schießen. Stundenlang lauern sie regungslos, und es bedarf 
großer Sicherheit im Schießen, um Beute zu machen, denn den Seehund sehen 
und schießen muß Eins sein. Mitunter bricht dann ein Windstoß aus Finnlands 
Bergen herüber, die Eisschollen krachen und brechen, und mit Lebensgefahr muß 
der Jäger von einer überschwemmten Scholle zur andern nach dem sichern Ufereise 
flüchten, wo sein Boot liegt, auf welchem er durch Schollen und Wellen weiter 
flieht. — Dem langen Winter folgt ein hastiger Frühling, ein kurzer, glühend 
heißer Sommer, ein langer Herbst mit dichten Nebeln und dann wieder der Winter 
mit seinem tief blauen Himmel, seinem vollen Sonnen- und Mondenglanze und 
seinen Nordlichtern. 
49. Klima, Produkte und Bewohner des östlichen Tieflandes. 
In einem so ungeheuer großen Lande müssen Klima, Vegetation, Fruchtbar¬ 
keit u. s. w. in verschiedenen Theilen sehr verschieden sein. Die Striche im Norden 
des norduralischen Landrückens gegen das Eismeer hin sind natürlich die traurigsten 
und ödesten. Die Küsten und Buchten jenes Meeres sind fast 3A des Jahres mit 
Eis belegt, und auch weiter in das Land hinein steigt die Kälte zuweilen bis auf 
34°. Im O. der Dwina dehnen sich ungeheure Moräste aus, die auch den größten 
Theil des Jahres gefroren sind. Je östlicher, je kälter. In Perm, unter 58° der 
Breite, liegt Ende November der Schnee schon so hoch, daß die Fenster des unteren 
Stocks, welche früher mannshoch über der Straße waren, dann mit derselben gleiche 
Höhe haben. Das Eis wird auf den Seen und Strömen oft über drei Ellen dick. 
Auf alle Weise verwahrt man sich gegen die Kälte; doch ist das Erfrieren einzelner 
Körpertheile, wie der Nase, gewöhnlich. Dort ist es ein oft vorkommender Liebes¬ 
dienst, einen vorübergehenden, dessen Nase sich schon weiß färbt, mit den Worten 
aufzuhalten: ,,Väterchen, eure Nase!" worauf der Angeredete sich die Nasenspitze 
mit Schnee reibt und dann seinen Weg fortsetzt. Mit Fischfang und Jagd auf Pelz¬ 
thiere beschäftigen sich die Bewohner. Im obern Dwinagebiet giebt es schon Wälder 
von Birken und Tannen; man baut Gerste, weil die kurzen Sommer und die 
häufigen Nachtfröste den Bau anderer Getreidearten nicht gestatten. Der Winter 
dauert 8—9 Monate, der Sommer 3—4; Frühling und Herbst giebt es nicht. Die 
Landschaften an der Ostsee haben natürlich weit milderes Klima; die westlichere und 
südlichere Lage so wie das Meer wirken hier ein. Doch aber steigt auch hier die 
Kälte ungleich höher als in westlicheren Gegenden unter gleicher Breite. Meist sind 
diese Landschaften, besonders in den Niederungen ihrer großen Ströme, sehr reich 
an Getreide; selbst das südliche Finnland bringt so viel, daß es früher Schwedens 
Kornkammer heißen konnte. In den Wäldern ist die Birke am verbreitetsten, wo 
nicht entschiedener Sandboden dem Nadelgehölz die Oberhand giebt; sie ist der 
eigentlich nordrussische Baum. Der große Raum zwischen dem nördlichen und süd¬ 
lichen Landrücken enthält auch noch hie und da Moräste und Moore. So dehnen 
sich in dem obern Stromgebiete der rechten Dnjeprzuflüsse und des Njemen Sümpfe 
aus, die an 1000 Quadratmeilen Flächenraum haben. Aber im Ganzen ist der 
Raum entweder fruchtbarer Getreideboden, namentlich für Roggen und Lein — 
oder er ist mit prachtvollen Waldungen bedeckt. Namentlich zeichnen sich die Linden¬ 
wälder aus; sie sind so häufig, daß der Monat ihrer Blüthe, der Juli, bei den 
Russen Lindenmonat heißt, und man die Bäume oft nur fällt, um aus ihrem Bast 
Matten zu flechten. Die häufig.gehaltenen (auch wilde) Bienen liefern in solchen 
Strichen trefflichen Honig. Obst gedeiht dagegen noch nicht, nur gegen W. hin im 
Weichselgebiete. Dieser ganze Landestheil ist auch stark bevölkert. Der Strich im 
Süden des südlichen Landrückens hat das Klima von Mittel-Europa, doch durch die 
östliche Lage heißere Sommer und kältere Winter. Schön gedeihen hier Weizen und 
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