91
115. Was ich wohl mag.
Ich mag wohl Begraben mit ansehen, wenn so ein rothge-
weintes Auge noch einmal in die Gruft hinabblickt, oder wenn
Einer sich so kurz umwendet und so bleich und starr sieht und
nicht zum Weinen kommen kann. Es pflegt mir dann wohl selbst
nicht richtig in den Augen zu werden; aber eigentlich bin ich doch
fröhlich. — Und warum sollt' ich auch nicht fröhlich sein? Liegt er
doch nun und hat Ruhe! Und ich bin darin ein Sonderling; wenn
ich Weizen säe, so denk' ich schon an die Stoppeln und den Ern¬
tetanz. Die,Leute fürchten sich vor einem Todten; ich weiß nicht
warum. Es ist ein rührender, schöner Anblick, einer Leiche in's
Gesicht zu sehen; aber sie muß ohne Flitterstaat sein. Die stille,
blasse Todtengestalt ist ihr Schmuck, und die Spuren der Ver¬
wesung sind ihr Halsgeschmcide und der erste Hahnenschrei zur
Auferstehung
Siehe, wie thut ein Ackersmann, der da säet auf dem Felde
und das Korn dahin in die Erde wirft, daß es scheinet, als sei es
gar verloren; dennoch hat er keine Sorge dafür, als sei es um¬
sonst; ja er vergisset, wo das Korn bleibt, fragt nichts darnach,
wie es ihm gehe, ob es die Würmer fressen oder sonst verderbe,
sondern gehet mit eitel solchen Gedanken davon, daß um die
Ostern oder Pfingsten werden schöne Halme herauskommen und
viel mehr Aehren und Körnlein tragen, denn er dahin geworfen
hat. — Da hast du ein schön Bild und Gemälde, wie Gott die
Todten mlferwecken wird. Du mußt aber zuvor dieser Predigt
glauben; darnach kannst du so dir vormalen und denken, daß Gott
ein solcher Ackersmann und du sein Körnlein bist, das Er in
die Erde wirft, ans daß es wieder viel schöner und herrlicher her¬
vorkomme. Er ist aber viel ein besserer und größerer Ackers¬
mann, denn ein Bauer auf dem Felve, und hat einen Sack am
Halse voll Samens; das sind wir Menschen, so viele unser auf
die Erde kommen von Adam an bis an den jüngsten Tag; die¬
selben streut Er um sich in die Erde, wie Er sie ergreift, und
thut's allein darum, daß solche Seine Körnlein auf den schönen
künftigen Sommer, nach diesem elenden Wesen, sollen auf's Aller-
schonste wieder hervorkommen, und ist's bei Ihm eben so gewiß,
als wäre es bereits geschehen und ausgerichtet.
Es wird gesäet verweslich, und wird auferstehen
unverweslich. Es wird gesäet in Unehre, und wird auf¬
erstehen in Herrlichkeit. Es wird gesäet in Schwach¬
heit, und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesäet
ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geist¬
licher Leib. 1. Cor. 15, 42—44.