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115. Was ich wohl mag. 
Ich mag wohl Begraben mit ansehen, wenn so ein rothge- 
weintes Auge noch einmal in die Gruft hinabblickt, oder wenn 
Einer sich so kurz umwendet und so bleich und starr sieht und 
nicht zum Weinen kommen kann. Es pflegt mir dann wohl selbst 
nicht richtig in den Augen zu werden; aber eigentlich bin ich doch 
fröhlich. — Und warum sollt' ich auch nicht fröhlich sein? Liegt er 
doch nun und hat Ruhe! Und ich bin darin ein Sonderling; wenn 
ich Weizen säe, so denk' ich schon an die Stoppeln und den Ern¬ 
tetanz. Die,Leute fürchten sich vor einem Todten; ich weiß nicht 
warum. Es ist ein rührender, schöner Anblick, einer Leiche in's 
Gesicht zu sehen; aber sie muß ohne Flitterstaat sein. Die stille, 
blasse Todtengestalt ist ihr Schmuck, und die Spuren der Ver¬ 
wesung sind ihr Halsgeschmcide und der erste Hahnenschrei zur 
Auferstehung 
Siehe, wie thut ein Ackersmann, der da säet auf dem Felde 
und das Korn dahin in die Erde wirft, daß es scheinet, als sei es 
gar verloren; dennoch hat er keine Sorge dafür, als sei es um¬ 
sonst; ja er vergisset, wo das Korn bleibt, fragt nichts darnach, 
wie es ihm gehe, ob es die Würmer fressen oder sonst verderbe, 
sondern gehet mit eitel solchen Gedanken davon, daß um die 
Ostern oder Pfingsten werden schöne Halme herauskommen und 
viel mehr Aehren und Körnlein tragen, denn er dahin geworfen 
hat. — Da hast du ein schön Bild und Gemälde, wie Gott die 
Todten mlferwecken wird. Du mußt aber zuvor dieser Predigt 
glauben; darnach kannst du so dir vormalen und denken, daß Gott 
ein solcher Ackersmann und du sein Körnlein bist, das Er in 
die Erde wirft, ans daß es wieder viel schöner und herrlicher her¬ 
vorkomme. Er ist aber viel ein besserer und größerer Ackers¬ 
mann, denn ein Bauer auf dem Felve, und hat einen Sack am 
Halse voll Samens; das sind wir Menschen, so viele unser auf 
die Erde kommen von Adam an bis an den jüngsten Tag; die¬ 
selben streut Er um sich in die Erde, wie Er sie ergreift, und 
thut's allein darum, daß solche Seine Körnlein auf den schönen 
künftigen Sommer, nach diesem elenden Wesen, sollen auf's Aller- 
schonste wieder hervorkommen, und ist's bei Ihm eben so gewiß, 
als wäre es bereits geschehen und ausgerichtet. 
Es wird gesäet verweslich, und wird auferstehen 
unverweslich. Es wird gesäet in Unehre, und wird auf¬ 
erstehen in Herrlichkeit. Es wird gesäet in Schwach¬ 
heit, und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesäet 
ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geist¬ 
licher Leib. 1. Cor. 15, 42—44.
	        
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