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Würzelchen nennt. Das Würzelchen geht nach unten in die fin¬
stere Erde; denn es weiß, daß es da Speise und Trank findet.
Dabei theilt es sich in kleine Fasern, die man Wurzelsasern
heißt, und mit diesen saugt es die Nahrung auf. Woher weiß
aber der Keim, daß er Nahrung im Boden findet? Wer hat ihm
gesagt, wo unten, wo der Erdboden ist, den er doch nicht sieht?
— Das hat ihm der liebe Gott gesagt, der das Körnlein er¬
schaffen hat, und der es auch erhalten will. Darum wenn du die
Spitze des Keimes, der zur Wurzel bestimmt ist, aufwärts kehrest,
so krümmt sie sich so lange abwärts, bis sie den Erdboden gefun¬
den hat. Die andere Spitze, das Federchen, welches zu Stengel
und Blättern emporwachsen soll, wendet sich jedes Mal von der
Erde weg und steigt himmelwärts, um Luft und Licht zu suchen.
Wie sich unten in der Erde das Würzelchen ausbreitet und
Lebenssaft an sich zieht, so heben sich die grünen, frischen Gras¬
blätter über die Erde empor. Das Licht und die Sonnenwärme
bereiten in den feinen Röhrchen einen so süßen, nahrhaften Saft,
daß Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde kein Gras lieber verzeh¬
ren, als das Korngras. Das ist so kräftig und hat solche Lust,
nach oben zu wachsen, daß es nur desto fröhlicher wieder in die
Höhe treibt, wenn es die Thiere abgeweidet, oder wenn die Leute
es abgeschnitten haben; denn es will in seiner Aehre den Men¬
schenkindern das tägliche Brot bescheeren.
Es dauert nicht lange, so zeigt sich schon das junge, weiche
Aehrchen. Dasselbe ist von einem Blatte wie von einem grünen
Mantel umhüllt. Die Aehre darf nicht so nahe am Erdboden
bleiben, damit die feuchten Dünste desselben sie nicht verderben;
darum steigt sie immer höher und höher empor. Zwar schwan¬
kend und dünn ist das Rohr, auf dessen Spitze die Aehre steht;
doch hat es auch starke Knoten, daß es der Wind nicht zerknicke.
Diese Knoten lassen durch viele kleine Löcher den Saft aus der
Wurzel emporsteigen.
Die langen, schmalen Blätter am Stengel haben keinen be¬
sonderen Stiel, wie die Blätter des Birn- und Apfelbaumes, son¬
dern sie laufen unten in eine Scheide aus, welche den Halm um-
giebt. Sie wehen fröhlich in der Luft, um den Regen und Thau
des Himmels zu sammeln und das Sonnenlicht und die frische
Luft einzusaugen; denn die Pflanze muß Athem holen so gut, wie
der Mensch und das Thier. Ist aber die Aehre bald reif, dann
welken die Blätter; denn sie haben ihre Arbeit vollbracht, und
die Nahrung, welche von der Wurzel aufsteigt, soll nun ganz den
Körnern zu Gute kommen.
Nun siehe, wie künstlich der liebe Gott die Aehre gebaut hat!
Sie besteht aus vielen einzelnen Aehrchen, die alle so an einen
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