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Aber wenn im Spätherbste bk ersten Schneegänse hoch über 
das Mainthal hinflogen und den Winter ansagten, achtete der 
reiche Kaufmann auf ihr Geschrei, wie der Kriegsknecht im Feld¬ 
lager auf den Ruf des Drommeters, und machte sich auf, aller¬ 
hand zu thun, daran er im Frühling nicht dachte. 
Er hatte nämlich verschiedene Waarenlager, ^ins immer grö¬ 
ßer, denn das andere. In dem einen Speicher lagerten Sandel¬ 
holz und Indigo und Purpur so viel, daß man damit den ganzen 
Strom hätte blau oder roth färben können. Der andere Speicher 
lag voll Zuckerhüte und Kisten von unten bis oben an, und der 
Kaufherr wäre nicht in Verlegenheit gerathen, wenn sich alle 
Frankfurter, vom Bürgermeister bis zum Schuhflicker herab, auf 
eine Schale Kaffee angesagt hätten. Und in dem dritten unter der 
Erde lagen viele Stückfässer uralten Weins hintereinander. Ueber 
dem Keller stand ein Kornhaus, darinnen große Haufen von Rog¬ 
gen, Gerste und Weizen aufgeschüttet waren, aber nicht zum Ver¬ 
kauf, wie die Specereieu in den andern Häusern. 
Sondern wenn der Kaufherr die ersten Schneegänse hörte, 
oder sein Schaffner ihm sagte: „Sie sind'da!" hub er an, zwei¬ 
mal in der Woche in sein Kornhaus zu gehen und wenig oder 
viel Malter dem Bäckermeister neben der Domkirche abzumessen. 
Der buk Brot daraus, den Laib zu drei oder sechs Pfunden, so 
weit es reichte. Den andern Tag, wenn es kalt geworden war, 
kamen arme Leute und holten es, gaben aber kein Geld dafür, 
sondern zeigten nur die Handschrift des Kaufherrn und empfingen 
dagegen, was auf dem Blättlein stand. 
Und in Sachsenhausen (das ist der am linken Mainufer gelegene 
Theil der Stadt Frankfurt) waren zwei Schulen, und darin viele 
Kinder reicher und armer Leute durcheinander. Die reichen ließ 
der Lehrer Vormittags um die elfte und des Nachmittags um die 
dritte Stunde heim und hielt sie nicht auf; die armen aber blie¬ 
ben auf ihren Bänken sitzen und warteten, bis der Knecht des 
Bäckers kam, einen großen Korb Brot auf dem Kopfe, und einem 
Jeglichen gab zwei oder drei Wecken, außen so gelb, wie eine Ci¬ 
trone, und innen so weiß und locker, wie Baumwolle, 
Die Wecken waren aber auch von dem Kaufherrn, der da¬ 
mit fortfuhr, bis ihm das Schwalbenpaar in seinem Hausflur 
ansagte, daß alle Schneegänse bis auf die letzte heimgezogen 
wären. 
Nun hätte der Schaffner schon längst gerne wissen mögen, 
warum sein Herr das Kornhaus öffnete und schloß, wenn die 
Gänse kamen oder gingen, und befragte ihn um die Ursache eines 
Abends im Garten vor der Stadt, als er fröhlich war in dem 
Herrn und guten Muthes, wie das Volk, welches Salomo nach 
dem großen Kirchweihfeste in seine Hütte ließ.
	        
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