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Wie rühmlich ist's, mit seinen Schaltern l
ein Pfleger der Bedrängten sein ;
und lieber minder sich ergötzen,
als arme Brüder nicht erfreun!
71- Der Zurechtgewiesene.
Eugen, ein reicher Jüngling, ging eines Tages mit
seinem Lehrer in der Nahe einer großen Stadt, in der
sie wohnten, spazieren. Während sie nebeneinander gingen
und sich der schönen Natur crfreueten, sahen sie ein Paar
kothige Schuhe an dem Wege liegen, die, wie sie vermu¬
theten, dem armen Manne gehören mußten, der auf dem
nahe liegenden Acker emsig arbeitete. Er war, wie es
schien, mit seiner Arbeit bald fertig. Der Jüngling wandte
sich an seinen Begleiter mit den Worten: „Wir wollen
dem Manne einen «streich spielen, ihm die Schuhe ver¬
bergen und uns hinter das nahe Gebüsch verstecken, um
ihn zu belauschen, und seine Verlegenheit zu sehen, wenn
er die Schuhe nicht finden kann." „Mein lieber Freund,"
erwiderte der Lehrer, „man muß sich nie durch Kränkung
eines Armen lustig machen. Du bist reich und daher im
Stande, dir und zugleich dem Armen ein Vergnügen zu
machen. Lege in jeden Schuh einen großen Thaler, und
dann wollen wir uns verbergen." Eugen that es, und
darauf gingen sie beide neugierig hinter das Gebüsch, von
wo aus sie den Arbeiter beobachten und seine Aeußerungen
vernehmen konnten. —
Der Mann hatte seine Arbeit vollendet, und ging hin,
sein Wamms und seine Schuhe anzuziehen. Während er
das erstere anzog, schlüpfte er auch schon mit dem einen
Fuße in einen seiner Schuhe; er fühlte etwas Hartes,
bückte sich und fand den Thaler. Erstaunen und Verwun¬
derung röthete sein Gesicht. Er besah den Thaler, kehrte
ihn um, besah ihn noch einmal und wieder. Endlich steckte
er das Geld in die Tasche, und wollte den andern Schuh
anziehen; aber, wie war's ihm, als er den zweiten Thaler
fand! Er fiel auf die Kniee, hob Augen und Hände gen
Himmel und rief: „O, Herr, mein Gott! so ist es doch
wahr, daß du diejenigen nicht verlässest, die auf dich
bauen! Du wußtest es, daß meine Kinder kein Brod ha¬
ben, daß mein Weib krank darnieder liegt, und daß ich