Full text: Ein Lese- und Lehrbuch für obere Klassen der Volksschulen (Theil 4)

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Wie rühmlich ist's, mit seinen Schaltern l 
ein Pfleger der Bedrängten sein ; 
und lieber minder sich ergötzen, 
als arme Brüder nicht erfreun! 
71- Der Zurechtgewiesene. 
Eugen, ein reicher Jüngling, ging eines Tages mit 
seinem Lehrer in der Nahe einer großen Stadt, in der 
sie wohnten, spazieren. Während sie nebeneinander gingen 
und sich der schönen Natur crfreueten, sahen sie ein Paar 
kothige Schuhe an dem Wege liegen, die, wie sie vermu¬ 
theten, dem armen Manne gehören mußten, der auf dem 
nahe liegenden Acker emsig arbeitete. Er war, wie es 
schien, mit seiner Arbeit bald fertig. Der Jüngling wandte 
sich an seinen Begleiter mit den Worten: „Wir wollen 
dem Manne einen «streich spielen, ihm die Schuhe ver¬ 
bergen und uns hinter das nahe Gebüsch verstecken, um 
ihn zu belauschen, und seine Verlegenheit zu sehen, wenn 
er die Schuhe nicht finden kann." „Mein lieber Freund," 
erwiderte der Lehrer, „man muß sich nie durch Kränkung 
eines Armen lustig machen. Du bist reich und daher im 
Stande, dir und zugleich dem Armen ein Vergnügen zu 
machen. Lege in jeden Schuh einen großen Thaler, und 
dann wollen wir uns verbergen." Eugen that es, und 
darauf gingen sie beide neugierig hinter das Gebüsch, von 
wo aus sie den Arbeiter beobachten und seine Aeußerungen 
vernehmen konnten. — 
Der Mann hatte seine Arbeit vollendet, und ging hin, 
sein Wamms und seine Schuhe anzuziehen. Während er 
das erstere anzog, schlüpfte er auch schon mit dem einen 
Fuße in einen seiner Schuhe; er fühlte etwas Hartes, 
bückte sich und fand den Thaler. Erstaunen und Verwun¬ 
derung röthete sein Gesicht. Er besah den Thaler, kehrte 
ihn um, besah ihn noch einmal und wieder. Endlich steckte 
er das Geld in die Tasche, und wollte den andern Schuh 
anziehen; aber, wie war's ihm, als er den zweiten Thaler 
fand! Er fiel auf die Kniee, hob Augen und Hände gen 
Himmel und rief: „O, Herr, mein Gott! so ist es doch 
wahr, daß du diejenigen nicht verlässest, die auf dich 
bauen! Du wußtest es, daß meine Kinder kein Brod ha¬ 
ben, daß mein Weib krank darnieder liegt, und daß ich
	        
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