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sucht eines Weibes eingegebener Vertrag, der zwei sich gegenseitig so
hassende Völker verband, von Dauer seyn würde?
Die Vorsehung hatte es anders beschlossen. Heinrich 5. ftarb
in Vincennes bei Paris 1422, und gleich nach ihm auch Karl 6.
Jener hinterließ, ein Söhnchen von 8 Monaten, Heinrich 6., 1422
bis 1472, das von der burgundischen Parthei als König von Frank¬
reich anerkannt wurde. Dagegen nannte sich der Dauphin nun Kö¬
nig Karl 7., 1422 —1461, und suchte mit Gewalt der Waffen sein
Recht zu verfechten. Aber wie wollte er den vereinigten Kräften der
Burgunder und Engländer widerstehen! In England hatte Hein¬
richs 5. älterer Bruder, der Herzog Johann von Bedford, die
Regentschaft übernommen, ein Mann von großem Geist und vieler
Thätigkeit. Er erfocht (1424) einen Sieg bei Verneuil (Departe¬
ment d. Eure) über die Franzosen. Nachdem der Krieg einige Jahre
lauer geführt worden war, kam der Graf von Salisbury mit einem
neuen Heere nach Frankreich (1428). Er drängte Karln immer wei¬
ter zurück. Schon stand dieser hinter der Loire, und dachte daran,
sich bis in den äußersten Süden von Frankreich zurückzuziehen, wenn
die Stadt Orleans an der Loire, welche von den Engländern bereits
hart bedrängt wurde, an den Feind übergehen sollte. Nur seine kluge
Frau, Marie von Anjou, und seine und „ihre Freundin, die schöne
Agnes Sorel, drangen in ihn, den Muth und die Hoffnung nicht
aufzugeben. Nirgends zeigte sich eine Aussicht auf Rettung aus der
großen Noth. Da kam ihm eine Hülfe, wo er sie am wenigsten er¬
warten konnte, durch ein Bauermädchen.
Johanna d' Are war die Tochter Thibaut d' Ares, eines
Landmanns in dem Dörfchen Domremi bei Vaucouleurs in Lothrin¬
gen. Sie war unter den gewöhnlichen ländlichen Beschäftigungen aus¬
gewachsen, hatte Schafe gehütet, die Wirthschaft besorgt, dann und
wann auch wohl Pferde ungesattelt zur Tränke geritten; denn sie war
groß und stark; aber man hatte bisher nichts Außerordentliches an
ihr bemerkt. Jetzt schien sie plötzlich wie umgeändert. Die Erzäh¬
lungen von der Noth des unglücklichen Königs Karl, von den Fort¬
schritten der Engländer, von dem Betragen der unnatürlichen Isabeau
drangen auch in das stille Dörfchen Domremi, und alle bedauerten
innigst den verlassenen König. Keiner aber mehr als Johanna. Auf¬
merksam horchte sie auf jede Nachricht. „Ach!" dachte sie oft, „wärst
du doch ein Mann, daß du zu ihm eilen und deinen Arm ihm leihen
könntest!" Wenn sie dann über solchen Gedanken einschlief, so sah
sie im Traum den König in tausend Gefahren; sie aber stand ihm
ritterlich bei, und rettete ihn. So war Karl und sein trauriges Schick¬
sal ihr Gedanke bei Tage und bei Nacht. Kein Wunder, daß sie zu¬
letzt glaubte, sie sey zu seiner Retterin vom Himmel ersehen. Von