Full text: Volume (Oberkl. = 5. Schulj)

D. In der Gemeinde. 
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Da sind die Bursche jung und wacker, 
die jammeln sich im Feld zuhauf 
und suchen den gereiften Acker 
der Witwe oder Waise auf, 
die keines Vaters, keiner Brüder 
und keines Knechtes hilfe weiß, — 
ihr schneiden sie den Segen nieder, 
die reinste Lust ziert ihren Fleißz. — 
sschon sind die Garben festgebunden 
und rasch in einen Ring gebracht; 
wie lieblich flohn die kurzen Stunden, 
es war ein Spiel in kühler Nacht! 
Nun wird geschwärmt und hell gesungen 
im Garbenkreis, bis Morgenluft 
die nimmermüden braunen Jungen 
zur eignen schweren Arbeit ruft. 
Gottfried Keller, Gedichte. 
109. Der herrenlose Acker. 
1. An dem schönen Flusse, der eine halbe Stunde entfernt an 
Seldwol vorüberzieht, erhebt sich eine weitgedehnte Erdwelle und ver— 
liert sich selber wohlbebaut, in der fruchtbaren Ebene. Fern an 
ihrem Fuße liegt ein Dorf, welches manche große Bauernhöfe ent— 
hält, und über die sanfte Anhöhe lagen vor Jahren drei präch— 
ge lange äcker weithingestreckt, gleich drei riesigen Bändern neben— 
einander. An einem sonnigen Septembermorgen pflügten zwei Bauern 
auf zweien dieser äcker, und zwar auf jedem der beiden äußersten; 
der mittlere schien seit langen Jahren brach und wüst zu liegen, 
denn er war mit Steinen und hohem Unkraut bedeckt, und eine Welt 
von geflügelten Tierchen summte ungestört über ihm. Die Bauern 
aber, welche zu beiden Seiten hinter ihrem Pfluge gingen, waren 
lange, knochige Männer von ungefähr vierzig Jahren und verkündeten 
auf den ersten Blick den sicheren, gutbesorgten Bauersmann. Sie 
trugen kurze Kniehosen von starkem Zwillich, an dem jede Falte ihre 
unveränderliche Lage hatte und wie in Stein gemeißelt aussah. Wenn 
sie, auf ein hindernis stoßend, den pflug fester faßten, so zitterten 
die groben hemdärmel von der leichten Erschütterung, indessen die 
wohlrasierten Gesichter ruhig und aufmerksam, aber ein wenig blin— 
zelnd in den Sonnenschein vor sich hinschauten, die Furche bemaßen, 
aͤber auch wohl zuweilen sich umsahen, wenn ein fernes Geräusch die 
Sulle des Landes unterbrach. Langsam und mit einer gewissen natür⸗ 
lichen Zierlichkeit setzten sie einen Fuß um den andern vorwärts, und 
keiner sprach ein Wort, außer wenn er etwa dem Knechte, der die 
stattlichen Pferde antrieb, eine Anweisung gab. So glichen sie einander 
bollkommen in einiger Entfernung; denn sie stellten die ursprüngliche 
Art dieser Gegend dar, und man hätte sie auf den ersten Blick nur 
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