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Zungen und grünen Rosenplätzen versehenes Glacis geschieden.
Auf einem Flächenraume, welcher 3'/z deutsche Meilen im Um¬
fange hat, wohnen hier gegen eine halbe Million Einwohner,
Deutsche, Italiener, Ungarn u. s. w., die vielen, besonders
orientalischen Fremden abgerechnet, welche sich fortwährend in
Wien des ausgedehnten Handels wegen aufhalten und in ihren
eigenthümlichen Nationaltrachten ein buntes Farben- und For¬
mengemisch der Kleidung auf den Straßen zur Schau tragen.
Auf die innere Stadt kommt indeß nur der zehnte Theil jener
Bevölkerung.
Wien, der Zusammenfluß des höchsten Adels und der Sitz
der reichsten Kaufmannschaft des ganzen Kaiserstaates, ist reich
an großen, prachtvollen Palästen und andern Gebäuden, welche
mit geschmackvollen Läden, in welchen der Luxus zur Schau ge¬
stellt ist, oft ganze Straßen einnehmen. Doch unter allen tritt
ein Bauwerk ganz besonders hervor, es ist die Stephanskirche
mit ihrem 420 Fuß hohen Thurme. Diese herrliche Kirche
Wiens ist zugleich eine der schönsten in ganz Europa und ein
vorzügliches Denkmal altdeutscher Baukunst. Sie ward 1144
angefangen und in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
vollendet.
Der geeignetste Punkt, die ganze Kaiserstadt zu überblicken,
ist die Spitze des Wienerberges im Süden der Stadt, wo eine
Säule von altdeutscher, kunstreicher Arbeit steht, die sogenannte
Spinnerei am Kreuze.
Unter den vielen öffentlichen Verauügungsorten, in denen
wir das Wienerleben in seiner Gemüthlichkeit und Ausgelassen¬
heit zugleich beobachten können, zeichnen sich besonders zwei aus.
Bor allen bekannt ist der in der Nähe der Stadt auf einer aus¬
gedehnten Donauinsel mit üppigem Wiesengrunde gelegene Lust¬
garten, Prater genannt, welcher, abwechselnd Garten- und Wald¬
partien darbietend, fortwährend von den fröhlichen Wienern
besucht wird, und in dessen langer, prachtvollen Allee oft Tausende
von stattlichen Karossen, mit geschmückten Herren und Damen
sich hin und her bewegen. Der eigentliche Tummelplatz des Volkes
ist der sogenannte Wurstprater, wo unzählige Volksmasfen in
Kaffee-, Bier- und Weinhäusern, Kegelbahnen, Schaukeln, Carous-
sels u. dgl., welche ihre Zelte zwischen den grünen Bäumen
aufgeschlagen haben, ihrem Vergnügen nachgehen. Denn ein
Hauptvorzug des Wiener-Charakters ist Leben und Lebenlasfen.
Selbst mitten unter ernsten Bedrängnissen verläßt den Wiener
sein Muth, der oft in ausgelassene Laune übersprudelt, so leicht
nicht. Auch die Brigittenau ist gar oft der Schauplatz der Lust¬