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ein Liedchen, bis es wieder frische Zuthat haben muß. Während
des Brütens nähert sich das Männchen seiner Gefährtin und läßt
ein leises Gezwitscher hören, um zu fragen, ob die Reihe noch nicht
an ihm sei. Wenn das Weibchen schweigt, macht das Männchen
noch einen kleinen Ausflug; wenn es aber durch ein leises Geschrei
antwortet, nimmt das Männchen den Platz desselben ein. Der Fink
hat nicht bloß sein einsilbiges: „pink, pink" und „irrr" oder „trief;"
er singt gar unmuthige und mannigfache Weisen. Wenn einmal von
Zeit zu Zeit unter den Finken ein rechtes Genie aufsteht und eine neue
Melodie aufbringt, so pfeifen ihm die andern Finken alle nach, und
seine Weise wird eine Zeit lang Mode.
Unter den übrigen Dögeln vom Finkengeschlechte sind der Kana¬
rienvogel, der Hänfling in seinem graubraunen, am Halse gelblichen
Kleide und der buntfarbige Stieglitz die besten Sänger.
22. Der Fuchs.
1. Äer Regen verzieht; der Wald schüttelt die lauen Tropfen
aus dem Haupt, und von der Heide steigt es erfrischend und wür-
zig in die Abendluft. In allen Schlupfwinkeln regt sichs. Die
Mücken beginnen ihre Tänze; die Ameisen kriechen hervor; der Fink
schmettert aus dem Buchenwipfel herab, und der Fuchs lauscht dort
zwischen den Wurzeln einer alten Eiche. Er „windet." Alles ist sicher.
Mit einem Satze ist Reineke vor der Thür. Das Ohr ist scharf her¬
ausgespitzt, ist gemacht, die über ihm auf Bäumen schlummernde
Beute zu erspüren; das leiseste Geräusch, das Zittern eines Blattes,
das Zucken des träumenden Vogels hört er. Die Rase ist fein und
langgestreckt. An dem Auge erkennt man sogleich das nächtliche Raub¬
thier; cs spielt aus grau in grün, liegt halb in der Höhle versteckt, am
Tage zur senkrechten Spalte verengert. Der Mund spaltet sich weit,
denn der Fuchs ist ein Räuber; ein sparsamer Bart stellt sich in langen,
zurückstrebenden Spitzen um die Oberlippe. Diese Lippen sind feinge¬
schnitten und geschlossen; öffnen sie sich aber, dann blicken scharf und
grimm die Zacken des Gebisses, die nichts Lebendes entrinnen lassen,
oder es knistert ein heiseres, hustenartiges Bellen hervor. Den schlan¬
ken, hangenden Leib tragen schnelle Füße fast spurlos über den Boden,
und stattlich schmückt ihn die buschige Schleppe. Die Brust ist weiß;
sein Pelz schimmert roth und goldig; daher ist er Fuchs geheißen, d. i.
der Feuerfarbene.
So schleicht, streicht und kreucht der Schlaue dahin, er schmiegt
und biegt sich, ist vorsichtig, geduldig, ausdauernd, behend, allezeit
entschlossen: ein Meister über hundert Künste.
Er scheint den Abend in süßem Nichtsthun vertreiben zu wollen.
Inzwischen kommen ein paar junge Füchslein neben ihm zum Vor¬
schein. Klugforschend äugeln sie umher, legen sich in die Sonne und
beginnen allerhand Kurzweil. Da tritt auch die Mutter heraus.
2. Der alte Fuchs macht sich auf; allein er eilt mit Weile.
Gelagen schlendert er, den Schweif vornehm schleppend, durch Busch
und Kraut, immer querfeldein. Er mag sich gern in Riedgras,