Full text: Lesebuch für hannoversche Volksschulen

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tiefe Schluchten neben wunderbar gestalteten Felsgraten; frucht- 
bare Alpenweiden, herrliche Seen, blühende Thäler, übersäet mit 
Städten und Dörfern; Bäche und Ströme, die im Thal als blaue 
Streifen erscheinen. 
4. Die Wege in den Alpen sind meist sehr gefährlich. An 
schwindelnd steilen Felswänden hin führen die Fußpfade, oft auf 
schmalen Brücken über grausig tiefe Abgründe. Hier und da war¬ 
tet des Wanderers ein Hospiz, d. i. ein in früheren Jahrhunderten 
zum Dienst der Reisenden und zur Rettung und Verpflegung Ver¬ 
unglückter erbautes Haus. Und zur Andacht wird der Wanderer 
gestimmt, wenn er still und in sich gekehrt im schaurigen Thal plötz¬ 
lich eine Kapelle erblickt, die ihn auffordert, sich durch Gebet zu der 
gefahrvollen Reife zu bereiten. Während die meisten Einsenkun- 
gen der Gebirgskämme so hoch und steil und durch Abgründe und 
Gletscher so gefährlich sind, daß sie nur für Menschen oder für den 
sichern Tritt der Maulthiere gangbar gemacht werden konnten, sind 
über einige Berge Straßen gelegt, z. B. über den St. Gotthard 
und über den Simplon. 
5. In Tirol, da wo der Rhein zuerst Deutschlands Grenzen 
berührt und wo die 12000 Fuß hohe Ortelesfpitze weit nach Ita¬ 
lien und Tirol hineinblickt, werden die Alpen deutsches Gebirge. 
Sie ziehen sich von da in einem breiten Hauptzuge bis zum Gro߬ 
glockner; dort theilen sie sich, und allmählich herabsinkende Zweige 
mit immer breiter werdenden Thälern gehen gen Nordosten zur Do¬ 
nau und gen Südosten. In diesen Thälern fließen durch Steier¬ 
mark, Kärnthen und Krain die Drau und die Sau, zwei Neben¬ 
flüsse der Donau. Die Ebenen werden zu fruchtreichen Äckern; 
Weizen, Mais, Obst, Kastanien und Wein gedeihen. Schon die 
nach Süden geöffneten Tiroler Thäler haben milde Lust; darum 
wächst hier der Maulbeerbaum, dessen Blätter die Seidenraupen 
nähren. An den Bergabhängen weiden zahlreiche Viehherden; doch 
auf den Gipfeln und Hörnern gibt es auch hier noch viel Schnee 
und Eis. 
2. Die Gemse. 
Äie Gemse ist in ihrer Gestalt der Ziege sehr ähnlich, nur 
hat sie höhere Beine und einen gestreckteren Hals. Ihre hakenför¬ 
migen Hörner stehen aufrecht, sind nach dem Rücken zu gebogen 
und erreichen meist eine Länge von zehn Zoll. Der gewöhnliche 
Aufenthalt der Gemse sind die höchsten, steilsten und unzugänglich¬ 
sten Bergspitzen der Alpen in der Schweiz. Beim Herannahen des 
Winters ziehen sie sich von dort aus Mangel an Nahrung in die 
niedrigen, mit Wald bewachsenen Gegenden der Berge herab. Sie 
haben sehr dünne Beine, aber außerordentlich starke Muskeln. Bei 
der Flucht pflegen sie die Füße mit großer Kraft auf den Boden 
zu fetzen und sich dadurch auf eine beträchtliche Entfernung fort¬ 
zuschnellen. Ihr Laufen gleicht demnach mehr einem anhaltenden 
Springen. Die Gemsen leben in Herden von selten mehr als zehn
	        
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