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trat hinaus; da stand eine schwarz und weiß gefleckte Kuh an den Baum
gebunden, und ein Mann sprach zu ihr; „Ein guter Freund schickt Euch
diese Kuh nebst diesen Säcken und einen freundlichen Gruß." Ehe sie
ihn erkennen oder ihm danken konnte, war er in der Dunkelheit verschwun¬
den. Jubelnd führten die Kinder die blanke Milchkuh in den Stall und
halfen der Mutter die schweren Kornsäcke ins Haus tragen. Die Witwe
weinte Freudenthränen. Der liebe Gott hatte ihr Gebet gar bald erhört.
Als sie nämlich hinter dem K-irchenpfeiler in ihren Schmerz versunken
war, hatte ein wohlhabender Mann aus der Gemeinde ihre Betrübniß be¬
merkt. Er hatte sich nachher nach ihren Umständen erkundigt, ihren Ver¬
lust und ihre Noth erfahren und das Werk der Barmherzigkeit an ihr
geübt, damit sie eben so fröhlich nach dem Hause des Herrn gehen könne
wie er.
159. Sprichwörter.
Womit man sündigt, damit wird man gestraft. Wer seine Schulden
bezahlt, verbessert seine Güter. Besser bäurisch gefahren, als herrisch ge¬
laufen. Ueber dem Nagel geht das Hufeisen verloren. Keine Antwort
ist auch eine Antwort. Ein Narr kann mehr fragen, als sieben Weise be¬
antworten können. Vorgethan und nachbedacht hat manchen in groß Leid
gebracht. Wer in Frieden will walten, muß leiden und still halten. Wenn
die Narren zu Markte kommen, kriegen die Krämer Geld. Es ist besser,
daß ein Narr beherrscht werde, denn daß er herrsche. Der Herr muß selber
sein der Knecht, will er's im Hause haben recht. Frage nicht, was andre
machen, acht' auf deine eignen Sachen. Was du nicht willst, daß dir ge-
schicht, das thu' auch einem andern nicht. Rom ist nicht in einem Tage
erbaut worden. Spar' in der Zeit, so hast du in der Noth. Was keine
Sünde ist, ist keine Schande. Kein Harnisch schützt wider den Tod. Wer
hoch steigt, fällt tief. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Es fällt kein
Meister vom Himmel. Frisch gewagt ist halb gewonnen. Besser ein Flicken,
denn ein Loch. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Halt' dich
rein und acht' dich klein, sei gern mit Gott und dir allein. Es wird nichts
so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen.
160. Kanut der Grosze.
Kanut war ein groszer König und Beherrscher von England
und Dänemark, und seine Schiffe fuhren auf den nördlichen Meeren
hin und her. Es begab sich aber eines Tages, dasz er lustwandelte
am Ufer des Meeres und seine Hofleute mit ihm. Da thaten Schmeich¬
ler ihren Mund auf und priesen ihn als den König der Könige und
als den Herrn des Meeres wie des Landes. Aber der König er¬
grimmte in seinem Herzen ob dieser Worte; denn er fürchtete den
Herrn, und es war solches ein Greuel in seinen Augen. Und er
schwieg. Ueber ein Kleines breitete er seinen Mantel hart an das