Full text: Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands

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das übrige Geld hätte kaufen können, und da sie sich noch über meine Thor¬ 
heit lustig machten, so fing ich vor Acrger an zu weinen. Jetzt machte 
mir die Reue mehr Verdruß, als mir die Pfeife Vergnügen gemacht hatte. 
Der Vorfall hatte aber daS Gute, daß er einen bleibenden Eindruck 
auf mich zurückließ, der mir in der Folge sehr nützlich wurde; denn so oft 
ick in Versuchung gericth, etwas Unnöthiges zu kaufen, sagte ich immer zu 
mir selbst: Gieb nicht zu viel für die Pfeife, und so sparte ich mein Gelt. 
Als ich herangewachsen war und in die Welt eintrat, wo ich Gelegen¬ 
heit hatte, die Handlungen der Menschen zu beobachten, glaubte ich viele, 
ja sogar sehr viele Leute zu bemerken, welche zu viel für ihre Pfeife 
g a b e n. 
Sah ich einen Ehrgeizigen ängstlich nach Hofgunst streben und seine 
Zeit in Vorzimmern verschwenden, seine Ruhe, seine Freiheit, seine Tugend 
und wohl auch seine Freunde opfern, um sie zu erlangen, so sagte ich zu 
mir selbst: „Der giebt zu viel für seine Pfeife!" 
Sah ich einen andern um Volksgunst buhlen, sich beständig in po¬ 
litische Händel mischen, seine eigenen Angelegenheiten darüber vernachlässigen 
und sich dadurch zu Grunde richten, so sagte ich: „Er zahlt wahrlich zu 
viel für seine Pfeife!" 
Wenn ich einen Geizhals traf, der sich jede Art von Bequemlichkeit 
versagte, sich um das Vergnügen, andern Gutes zuthun, betrog, die Achtung 
seiner Mitbürger verscherzte und auf die Genüsse zärtlicher Freundschaft ver¬ 
zichtete, nur um Schätze aufzuhäufen, so dachte ich: „Armer Mann, du 
bezahlst in der That zu viel für deine Pfeife!" 
Fand ich einen Mann des Vergnügens, der jede Geistesfreude, jede Ge¬ 
legenheit, sein Vermögen zu mehren, bloß sinnlichen Genüssen hintansetzte, 
so sagte ich: „Betrogener Monn, du schaffst dir Leiden statt Lust, du giebst 
zu viel für deine Pfeife!" 
Sehe ich einen in schöne Kleider, schönes Hausgeräth und schöne 
Equipagen, die all' sein Vermögen übersteigen, vernarrt, dafür Schulden 
machen und seine Laufbahn im Gefängnisse beschließen, so sage ich: „Oweh! 
der hat seine Pfeife theuer, sehr theuer bezahlt!" — 
Kurz, wo ich hinsah, bemerkte ich, daß die Menschen sich den größten 
Theil ihres Elendes dadurch selbst zuziehen, daß sie den Werth der Dinge 
nicht richtig zu schätzen wissen, und daß sie zu viel für ihre Pfeifen bezahlen. 
203. Morgenlied 
t. Der schöne Tag bricht an, 
die Nacht ist abgethan, 
die Finsterniß vergangen: 
laß uns dein Licht umfangen, 
du, unsre Sonn' und Leben, 
der Welt zum Heil gegeben! 
2. Laß uns in deiner Hut 
das thun, was recht und gut, 
und stets als Kinder leben, 
die dir sich ganz ergeben, 
in deinen Wegen gehen 
und fest im Glauben stehen.
	        
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