Full text: [Teil 4, [Schülerband]] (Teil 4, [Schülerband])

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5. Flüstert nicht ein Hauch des 
Windes 
Aus der Kleinen Gruft herauf: 
Pflege doch des zarten Kindes, 
Zieh es früh zum Himmel auf! 
6. Wann beim hellen Festgeläute 
Naht die muntre Hochzeitschar, 
Wandeln die geschmückten Bräute 
Zwischen Grüften zum Altar. 
7. Vor der Jungfrau mit der 
Krone 
Bebt am Kreuz der Flitterkranz, 
Mahnt zum Ernst mit leisem Tone 
Mitten durch Musik und Tanz. 
8. Aber wankt in tiefen Schmerzen 
Eine Schar zum Grabesrand, 
Dann für die gebrochnen Herzen 
Ist der Trost auch nah zur Hand. 
9. Gleichwie sanfter ja die Kinder 
Weinen in der Mutter Schoß, 
So vor Gottes Haus gelinder 
Ringen sich die Thränen los. 
10. Sanfter selbst die Toten ruhen 
In der Kirche Hut und Acht, 
Gleichwie Kinder in den Truhen, 
Wo die treue Mutter wacht. — 
11. Dörflein, deine Kirch umkränzet 
Grün des Friedhofs ernst Geheg, 
Und der Totcnacker grenzet 
Hart an deinen Lebensweg. 
, 12. Wenn in deine Fest' und Freu¬ 
den 
Oft ein Sterbgedanke bricht, 
So verklärt sich auch dein Leiden 
In des ewgen Glaubens Licht. 
Ludw. Adolf Stöber (18-10). 
97. Cita mors ruit. 
1. Der schnellste Reiter ist der Tod; 
Er überreitet das Morgenrot, 
Des Wetters rasches Blitzen; 
Sein Roß ist fahl und ungeschirrt, 
' Die Sehne schwirrt, der Pfeil erklirrt 
Und muß im Herze sitzen. 
2. Durch Stadt und Dorf, über 
Berg und Thal, 
Im Morgenrot, im Abendstrahl 
Gehts fort in wildem Jagen; 
Und wo er floh mit Ungestüm, 
Da schallen die Glocken hinter ihm, 
Und Grabesücdcr klagen. 
3. Er tritt herein in den Prunkpa¬ 
last, 
Da wird so blaß der stolze Gast 
Und läßt von Wein und Buhle; 
Er tritt zum lustigen Hochzeitschmaus, 
Ein Windstoß löscht die Kerzen aus, 
Bleich lehnt die Braut im Stuhle. 
4. Dem Schöffen blickt er ins Ge¬ 
sicht, 
Der just das weiße Stäblein bricht, 
Da sinkts ihm aus den Händen; 
Ein Mägdlein windet Vlüt und Klee, 
Er tritt heran; ihr wird so weh — 
Wer mag den Strauß vollenden! 
5. Drum sei nicht stolz, o Men¬ 
schenkind ! 
Du bist dem Tod wie Spreu und Wind, 
Und magst du Kronen tragen. 
Der Sand verrinnt, die Stunde 
schlägt, 
Und eh ein Hauch dies Blatt bewegt, 
Kann auch die deine schlagen. 
Emanuel Geibel.
	        
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