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Kirche ein. Nur eine tönte noch zu Zeiten auf dem St. Stephansthurmc.
Aber dann verkündigte sie keine Freude, denn es brannte entweder in der
Stadt, oder der Sturm wüthete draußen. Aber auf diesem Thurme, wo
zwei Geistliche beständig Wache hielten, stand häufig der Kommandant
der Stadl und blickte hinaus in das Land, ob sich nirgends ein Zeichen
der verheißenen Rettung erblicken ließe. Allein immer wieder war er
die Stufen hinabgestiegen, ohne um eine Hoffnung reicher zu sein. Und
doch wie sehnlich wartete man auf Entsatz! Wie glaubte mail bei jedem
glücklich abgeschlagenen Sturme, bei jedem der blutigen Ausfälle es müsse
nun bald der letzte sein! Aber der Herzog von Lothringen kam nicht,
trotz der cigeneil Sehnsucht, der Stadt ju helfen. Sein Heer war noch
zu schwach, er mußte auf die Unterstützung warten, die man ihm von
allen Seiten versprochen hatte, die aber miv zögernd ankam. Starhem¬
berg schickte manche Voten ait ihn, die mit Gefahr ihres Lebens das
türkische Lager passiren mußten, und auch der Herzog ließ cs nicht an
Boteil zur Tröstung und Aufmunterung fehlen. Daneben hatte man
Feuerzeichen durch aufsteigende Raketen verabredet, wodurch Ulan sich
wechselseitig verständigen konnte.
In der Nacht des 27. Augusts ließ Starhemberg 40 Raketen auf¬
steigen zum Zeichen für die fernen Freunde, die nur noch auf die Ankunft
des Königs von Polen warteten, daß Entsatz mit Schmerzen erwartet
werde. Und so flogen allnächtlich von dem Stephansthurme die Raketen
in die Höhe, wie heiße Angstgebete der Bedrängten, um mit ihrer feu¬
rigen Sprache die zögernde Rettung herbeizurufen.
Da stiegen — o goldne Schrift der Verheißung! — in der Nacht
vom 6. auf den 7. September voll den Höhen des Kalenbergs 5 Raketen
zur Erwiederung auf und verkündigten, daß die Hülfe sich nahe.
Und bald hemmten die Netter die Stürme der Türken. Der feurige
König von Polen, Johann Sobiesky, verrichteten die herrlichsten Thaten,
und deutsche Fürsten und Edelleute kämpften, wie vordem Hermann gegen
die Römer. Unter die Türken war ein Schrecken Gottes gefahren, sie
flohen und ließen ihr Lager sammt allen Kostbarkeiten im Stiche. Die
Beute der Christen war unermeßlich, - aber das Entzücken der aus der
Belagerung oder der Gefangenschaft Erlösten ließ gar nicht auf die Schätze
achten. Und Was that der edle Bischof Kolonits? Er ging in das
Lager und sammelte die Waisenkinder, welche durch die Grausamkeit der
Feinde ihre Eltern verloren hatten und nun hülflos umher irrten. Das
war eine große Zeit! Da gab es edle Menschen, Menschen nach dem
Herzen Gottes!
112. Böhmen.
Das schöne Königreich Böhmen, das Land, wo die Elbe ihren Lauf
beginnt, und welches von Gebirgen gleich einem Kessel umschloffen ist,
gehörte von Alters her zu Deutschland, ist jedoch keineswegs von lauter
Deutschen bewohnt. Zwei Drittheile der Einwohner sind Slaven, soge¬
nannte Stockböhmen und sprechen eine mit dem Polnischen und Russischen
verwandte Mundart. Nur in den Gebirgen, in den Städten und unter
den Gebildeteren herrscht die deutsche Sprache. Vormals waren die Ein¬
wohner größtentheils dem protestantischen Glauben zugethan, auf welchen