Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

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welche auch, wenn der Augenblick und die Umwandlung des Todes 
glücklich überstanden ist, in hoher Schönheit und Herrlichkeit hervor¬ 
gehen und aller armen Gebrechen ihres Leibes los, nun ein geistiges 
Leben führen wird. 
29. Die Schlangen. 
Noch immer glauben Leute, daß die giftigen Schlangen mit der Zunge 
stechen. Allein es ist schon lang außer Zweifel gesetzt, daß sie durch Giftzähne 
verwunden, welche in der obern Kinnlade stehen. Diese Zähne sind hohl und 
haben an der Spitze eine feine Oeffnung. An der Seite des Kopfes befindet 
sich eine Drüse, in welcher das Gift bereitet wird, und wenn das Thier beißt, 
so tritt das Gift aus der Drüse in den Zahn und durch die Oeffnung in die 
Wunde. Es ist also eine Fabel, daß die Schlangen das Gift, ehe sie in das 
Wasser gehen, unter einen Stein ablegen. Wenn ein solches Thier im 
Wasser nicht giftig ist, so hat es auch kein Gift außer demselben. An jenen 
Zähnen hätte man also wohl ein Kennzeichen, die gefährlichen Thiere dieser 
Art von den unschuldigen zu unterscheiden. Aber wie kann man ihnen, so 
lange sie leben, in den Mund schauen, und wer wirds thun? Lieber geht 
man ihnen zur Sicherheit aus dem Weg, oder schlägt sie todt. Allein so wird 
doch auch manches unschädliche und sogar nützliche Thier getödtet. Denn 
die Schlangen verzehren viel sogenanntes Ungeziefer und helfen uns also vor¬ 
der schädlichen Menge derselben bewahren. Und ein guter und besonnener 
Mensch will doch lieber erhalten, als ohne Zweck und Noth zerstören; lieber 
leben lassen, als todten, wär es auch nur ein Thier im Raube. Und die 
Schlange, ob sie gleich mit dem Bauche auf der Erde schleicht, ist doch ein 
merkwürdiges und wirklich ein schönes Thier. Schon das verdient ja unsere 
Aufmerksamkeit, daß dieses Geschöpf ohne Füße, nur durch seine zahlreichen 
Muskeln sich so leicht fortbewegen kann. Ihre Gestalt ist so einfach, und doch 
fehlt ihnen Nichts, was ihnen zur Erhaltung und zum Genuß des Lebens 
nöthig ist. Mit welcher Geschwindigkeit und Gewandtheit gleiten sie in den 
mannigfaltigsten Wendungen ihres schlanken Körpers nach allen Richtungen 
dahin und ereilen ihre stiehende Beute, oder retten ihr verfolgtes Leben! Mit 
welcher leichten Biegsamkeit winden sie sich zwischen und über und unter den 
tausend Htnderniffen durch, die ihrem Lauf überall im Wege liegen! Wer 
hat über den ganzen Körper hinab Schild an Schild und Schuppe an Schuppe 
gereiht und über einander gelegt, daß sie bei jeder Bewegung in der größten 
Geschwindigkeit ausweichen, nachgeben, sich über einander schieben und doch 
den zarten Körper bedecken, und allemal wieder in ihre vorige Lage zurück¬ 
kehren? Wer hat sie mit der Schönheit und Mannigfaltigkeit ihrer Farben
	        
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