Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Abtheilungen ein- und mehrklassiger Elementarschulen in der Stadt und auf dem Lande

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mindert, beleben willkommene Regenschauer daö ausgedörrte Land und den sich 
senkenden Mais. Die wilden Reben bieten auf jedem Pfade, der durch die Wälder 
führt, ihre Frucht dar, und der Obstgarten, diese Erquikkung des Ansiedlers, reicht 
ihm beinahe von selbst daö Köstlichste, was sein Gaumen nur wünschen kann. 
In den Wäldern behält ein Theil der Bäume sein ursprüngliches Grün, während 
ein anderer seiner Natur gemäß jede Farbe sehen läßt und das Auge deö Be¬ 
schauers durch die unendliche Abstufung der Farben täglich und stündlich überrascht. 
Wenn der Frühling ein vollkommenes und fast augenblikklicheS Erschaffen war, 
so scheut der Herbst eine liebliche Ruhe nach der übergroßen Anstrengung dcS 
Sommers. 
Dem Bewohner der überfüllten Städte muß in Kanada Alles öde und ver¬ 
lassen vorkommen — die glänzende Pracht des Sommers nicht minder, wie der 
starre Anblikk des Winters. Dem Ansiedler aber, der fern von dem Getriebe der 
geschäftigen Menge wohnt, bietet der Herbst eigenthümliche Vortheile und eigen¬ 
thümliche Freuden dar. Da er in der anderen Jahreszeit auf seine eigene 
.Thätigkeit beschränkt 'ist, muß er in dieser die Gesellschaft seiner Nachbar» in 
Anspruch nehmen, damit er und sie von dem Reichthum ihres Bodens Nutzen 
ziehe». Wen» daö Getreide geschnitten werden soll, wenn man ein HauS erbauen 
will, wenn eine Umzäunung der Felder nothwendig geworden ist, wenn irgend 
etwas gethan werden muß, das eine rasche Ausführung fordert, werden die 
benachbarten Gutsbesitzer zu einem Feste eingeladen. Jung und Alt, Mädchen 
und Frauen finden sich ein. Während die Männer sich in die Arbeit theilen, 
sind die Mädchen und Frauen beschäftigt, daö reiche Mahl zu bereiten, welches 
der Abendbelustigung zur Einleitung dient. Musik und Tanz folgen; Alles 
überläßt sich der Freude; die Stunden verfliegen, man weiß nicht wie. 
Wer sich vier oder fünf Jahre mit dem Ausrotten der Wälder beschäftigt 
hat, besitzt die Mittel und fast das Recht, seine übrigen Tage in giube und 
Ueberfluß hinzubringen. Ueppige Felder, ein nie fehlender Obstgarten befriedigen 
seine Bedürfnisse. 
Die Wunder der Polarwelt. 
Welche Mittel bot die Natur auf, um den grausestrn Gegenden der Erde 
einige Bewohnbarkeit abzugewinnen? Durch welche Einrichtungen gelang eö ihr, 
selbst dort dem Menschen sein Dasein zu friste» und sein Leben zu erleichtern, 
wo die Erde den« Samenkorn verschlossen bleibt, wo dem Hirte» keine Weiden 
mehr grünen, und wo kaum noch ein eßbares Wild dem Jäger sich darbietet? 
Zwei große Lufterscheinungen mögen bei der Aufzählung dieser Mittel den 
Anfang machen. Daö erste davon ist die Strahlenbrechung, wodurch daö 
Tageslicht bei dem Verschwinde» und bei dem Herauftreten der Sonne um mehrere 
Wochen verlängert wird. 
Daö zweite finden wir in jener majestätischen Erscheinung, dem Nordlichte. 
Es schafft gleichsam die Nacht zum Tage um. Bei seinem Schimmer kann der 
Mensch seiner Handthierung, seiner Nahrung nachgehen. 
Unter den Merkwürdigkeiten, welche sich auf dein Boden der dortigen Erde 
selbst darbieten, darf man daö Treibholz nennen. Eö ersetzt den Nordländern 
die fehlenden Waldungen, liefert Bauholz, Hvlzgeräthe, Feuerung, und der 
Isländer tauscht sogar Waaren dafür ein. 
Jetzt zu den Erzeugnissen der Polargegenden selbst. Mit reichlicher Hand 
giebt dort die Natur die nahrhaftesten Pflanzen, die Moose; denn sie allein waren 
fähig, auö dem dürftigen, oft filzigen Grunde der Polarländer hinreichende Nah¬ 
rung zu ziehen und dadurch die Menschen auf daö Kräftigste zu erhalten.
	        
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