Full text: Deutsches Lesebuch für die oberen Abtheilungen ein- und mehrklassiger Elementarschulen in der Stadt und auf dem Lande

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Stadt selbst war das Wendenvolk unter seinem Anführer Tilgumir in großen 
Massen versammelt und fest entschlossen, auf Lebe» und Tod zu kämpfen. Schon 
glaubten sie sich sicher und jubelten vor Freude, daß Heinrich nicht weiter 
vorwärts konnte, belachten und verhöhnten feine Anstrengungen, — da griff 
plötzlich die allmächtige Hand der Vorsehung ein: ein starker Frost belegte die 
Havel sammt den Sümpfen und Morästen mit dikkem Eise. Ueber diese Brükkc 
zog Heinrich nun dicht vor die Stadt, um sie zu erstürmen. Den Wenden 
entfiel der Muth. Sie ergaben sich und gelobten, Christen zu werden und 
einen jährlichen Tribut zu zahlen. Allein Heinrich, der die Wende» kannte, 
wußte wohl, daß sie eben so schnell ihr Versprechen brechen würden, wenn er 
nicht besondere Maßregeln träfe. Er bestimmte deshalb (928) einen Strich 
Landes an der Elbe und Havel zur Grenz- oder Markgrafschaft, und setzte einen 
tapfern und erfahrenen Mann als Grenz- oder Markgraf hinein, der die Wenden 
in Unterwürfigkeit und im Zaume halten sollte. Die neue Markgrafschaft führte 
anfangs den Namen Nord mark, Nordsachsen, auch Wendische Mark, 
und war die Grundlage unseres großen, preußischen Staates. Wie derselbe sich 
nach und nach zu seiner jetzigen Größe herangebildet hat, werde» wir im Verlauf 
unserer Geschichte sehen. ^ 
So lange Heinrich lebte, waren die Wenden ruhig; aber kaum war er todt, 
als sic auch schon wieder versuchten, sich frei zu machen. Die Markgrafen wurden 
hart bedrängt und hatten den krieaSsüchtigen und feindseligen Wende» gegenüber 
einen schweren Stand. In solcher Bedrängnis: griff Gero, durch Kaiser 
Otto I. zum Markgrafen ernannt, zu einem eben so grausame», als verachtungs¬ 
würdigen Mittel. Er lud nämlich dreißig wendische Fürsten zu einem Gastmahle 
und ließ dieselben in der Nacht meuchlings ermorden. Die Wenden, dadurch zur 
Wuth und Rache entflammt, standen nun in Masse auf, und eö war nahe 
daran, daß Heinrichs Stiftung rein vernichtet worden wäre; es fehlte den Wenden 
nur an treuen Anführern. Auf Gero folgte der Markgraf Dietrich (995). 
Seine Härte und Tyrannei reizte die Wenden zu neuer Empörung. In der 
höchsten Wuth und Verzweiflung eroberten sie Havelberg, dann Brandenburg 
und fast das ganze Land. Dem Christenthuine entsagten sie wieder; die christlichen 
Kirchen wurden zerstört oder in Götzentempel verwandelt, die Geistlichen verjagt 
ober ermordet. So ward in kurzer Zeit Alles vernichtet, was mit Blut erkauft 
und mit Fleiß gepflegt war. Von nun an war nur Krieg und Kriegsgeschrei 
i» jenen Landen, und Noth und Elend überall. Die Menschen fielen unter den 
Streichen deö blutigen Kampfes, die Aekker wurden wüste, die Städte und 
Dörfer gingen in Flammen auf. Beinahe 2 Jahrhunderte hindurch wurde das 
Land auf diese Weise zerrüttet, und es wäre am Ende ganz verloren gewesen, 
hätte der weise und gütige Gott sich nicht desselben angenommen. Aber: wenn 
die Noth am größten, ist er mit seiner Hülfe am nächsten. Und 
dieses Sprüchwort ging 1133 auch an der Mark in Erfüllung. Bisher waren 
nämlich die Markgrafen keinesweges wirkliche Besitzer der Nordmark, sondern 
nur Statthalter und Diener des Kaisers gewesen, der diese Würde nach Belieben 
vergab. Der deutsche Kaiser Lothar aber schenkte dem ihm befreundeten Grafen 
Albrecht von Ballenstädt, der seiner großen Tapferkeit wegen den / 
Beinamen „der Bär" hatte, die Markgrasschaft Nordsachsen erb- und eigen¬ 
thümlich (1133). Das war ein großes Glükk für das Land und die Bewohner. 
Den» Albrecht (1133 —1168), dessen Geschlecht von der jetzt zerstörten Burg 
Anhalt, im Magdeburgischen, .den Namen der Anhaltiner führte, war nicht 
nur ein tapferer Fürst, sondern auch ein gar liebreicher Regent, ein wahrer Vater 
seines Landes und Volkes. Zuerst ging er auf die Wenden loö, entriß ihnen 
Brandenburg und Havelberg und unterwarf sich alles Land bis zur Oder. Die
	        
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