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gewöhnen. „Ich scheide," sprach er, „Söhne, lebet wohl! Jedoch
zuvor zerbrecht mir diese Pfeile, gebunden, wie sie sind." In
größter Eile will Jeder den Befehl vollzieh'»; jedoch umsonst
ist ihr Bemüh'n. Der Vater löst hierauf das Band, giebt
Jedem einen Pfeil besonders in die Hand: „Zerbrecht mir den,"
spricht er mit trüben Blikken, und schnell war jeder Pfeil in
Stükken. „Merkt, Söhne," rief er, „am zerbrochenen Geschoß:
die Eintracht nur macht stark und groß, die Zwietracht stürzet
Alles nieder. Lebt wohl! und liebt euch stets als Brüder!"
86. Herr Michel.
Michel ward des alten Pächters Mertens Knecht; doch
nach wenig Wochen fand er Nichts mehr recht: Kuchen mager,
Butter alt, Bette hart und Stube kalt. Wenn die Erbsen-
fchüffel auf dem Tisch erschien, tunkt' er seinen Löffel umge¬
wendet drin; und dann sprach er spöttiglich: „Klebst du dran,
so ess' ich dich!" Bald des Dienens müde, sann er hoch
umher, nahm ein Weib und dachte: Ha! nun bin ich Herr.
Doch so mancher Jugcndtraum ist gar oft nur lauter Schaum.
Ach, das eigne Tischchen deckt sich nicht so leicht, wie's am
fremden Heerde manchem Michel däucht; auch der uns're fand
um's Jahr diesen Spruch nur gar zu wahr, sehnte sich mit
Schmerzen, aber ach! zu spät nach der Erbsenschüssel und dem
harten Bett'. Immer größer Ward die Noth und die Sorg'
um'S trock'ne Brot. Nun zum alten Wirthe tritt er flehend
ein, einen halben Scheffel Erbsen ihm zu leih'n. Jener schweigt
und führet ihn nach der Vorrathskammer hin. Hier am
Erbscnhaufen steh'» sie still und stumm, Merten, vor dem
Scheffel, kehrt die Schaufel um, stößt sie eilt und spricht für
sich: „Klebst du d'ran, so meff' ich dich!" Michel weint.
Der Alte sieht's unb spricht mit Ernst: „Wohl dir, wenn du
weinen und dich bessern lernst! Nimm die Erbsen zum Ge¬
schenk, und sei meiner eingedenk!
Dächten alle jungen Brüder Michels doch an den Erbsen¬
haufen und den Doppelspruch: Klebst du d'ran, so ess'
ich dich! Klebst du d'ran, so mess' ich dich.