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sich die schönsten mit eigener Hand erzog. Darum sehnte sie sich
nach dem Frühlinge und daß der Winter vorüber gehen möchte.
2. Da sprach der Vater: „Siehe, Sophie, ich habe dir eine
Blumenzwiebel mitgebracht, du mußt sie dir aber selbst mit Sorgfalt
erziehen!"
3. „Wie vermöchte ich das, mein Vater," antwortete das
Mädchen. „Es ist ja Schnee draußen, und die Erde ist hart wie
Stein." — So redete sie, denn sie wußte nicht, daß man auch in
Scherben Blumen erziehen kann, und hatte es niemals gesehen.
4. Der Vater gab ihr ein Töpfchen mit Erde, und Sophie
that die Blumenzwiebel hinein. — Aber sie sah den Vater an und
lächelte, zweifelnd, ob er auch im Ernste geredet; denn sie meinte,
es müsse ein blauer Himmel über der Blume schweben und Früh¬
lingslüftchen um sie her, und unter ihren Händen könne solche Herr¬
lichkeit nicht gedeihen.
5. Nach einigen Tagen hob sich die Erde in dem Scherben;
grüne Blättchen trugen sie empor auf ihren Spitzen und kamen an
das Licht. Da frohlockte Sophie', klatschte in die Hände und ver¬
kündete dem Vater und der Mutter und dem ganzen Hause die Ge¬
burt des jungen Pflänzchens. Darauf benetzte Sophie die Pflanze
mit Wasser und lächelte mit Wohlgefallen auf sie hernieder.
Ü. Der Vater sah es an und sprach: „So recht, mein Kind!
Dem Regen und Thau muß der Sonnenschein folgen. Der Strahl
des freundlichen Auges giebt der Wohlthat, welche die Hand reicht,
ihren Werth. — Dein Pflänzchen wird wohl gedeihen, Sophie!"
7. Nun kamen die Blätter aus dem Schooße der Erde ganz
hervor und glänzten mit lieblichem Grün. Da ward Sophiens
Freude noch größer. „O," sagte sie, „ich will auch wohl zufrieden
seyn, wenn keine Blüthe kommt." „Genügsame Seele," sprach der
Vater, „dir wird mehr gegeben werden, als du zu hoffen wagst!"
Er zeigte ihr den Keim der Blume, der zwischen den Blättern ver¬
borgen lag.
8. Sophiens Sorgfalt und Liebe wuchs mit jedem Tage, so
wie die Blume sich allmählich entfaltete. Mit vorsichtiger Hand
sprengte sie Wasser daraus und fragte, ob es genug oder zu viel
und ob es nicht wohl zu kalt seyn möchte. — Und wenn ein Son¬
nenblick durch die Fenster kam, dann trug sie, leise wandelnd, die
Pflanze hinüber in den Sonnenschein, und ihr Odem hauchte den
Staub von den Blättern, so wie ein Morgenlüftchen die Rose um¬
haucht.
9. Mit dem Gedanken an ihre Blume schlief Sophie am Abend
ein und erwachte mit ihm des Morgens. Mehrmals erblickte sie
auch im Traume ihre Hyazinthe in voller Blüthe, und wenn sie
dann am Morgen noch nicht blühte, und Sophie sich getäuscht sah,