Full text: Neu-eingerichtetes Mülheimer Lesebuch für Deutsche Schulen

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gekommen war, zu trösten und zu erbauen, jedes 
Mal erbauter, gestärkter und beschämter zurück. 
Einst fühlte derselbe, Abends schon spät, einen 
heftigen Antrieb, noch einmal hinzugehen. Er ging. 
Tiefe Stille herrschte im Zimmer, das von einer 
schwachen Lampe nur wenig beleuchtet ward. Man 
merkte ihn kaum , als er hinein trat. Frau und Kin¬ 
der vergassen ihrer eigenen Krankheit, und jam¬ 
merten nur über den Vater. Als jener nun ins dunkle 
Bette hinein sah, fand er ihn aufrecht sitzen , sein 
Haupt entbleist, die Mütze in beiden gefabenen 
Händen , und sein brechendes Auge gen Himmel 
gerichtet. Er redete ihm zu , und noch schien der 
Sterbende ihn zu kennen; aber seine Sinne waren 
bereits ganz verwirrt; fein Verstand war wirklich 
dahin. Aber mit Inbrunst hielt er seine Hände empor, 
sah gen Himmel , und betete mit abgebrochenen 
Worten , aus dem innigsten und vollesten Herzen , 
gedachte auch noch in seinem Gebete der Seinigen, 
seiner Wohlthäter, und auch seines Freundes, des 
Predigers. Dieser fand am folgenden Morgen die 
Frau allein auf dem Bette. Sie sah ihn starr an, 
zeigte auf ein langes, in der Ecke des Zimmers auf 
der Erde ausgebreitetes Bettuch, unter welchem 
die Leiche ihres Mannes lag. — Er ist — sanft — 
eingeschlafen, sagte sie mit schwerer Zunge, zeigte 
auf sich, dann gen Himmel, und schien sagen zu 
wollen , dass sie ihm bald folgen würde. — Nach 24 
Stunden hatten fünf unversorgte Kinder keine Ael- 
tern mehr. Beide wurden an Einem Tage beerdiget, 
und ein gemeinschaftliches Grab deckt ihre Asche. 
* * 
* 
Gib Acht auf den Frommen, und siehe auf den 
Aufrichtigen; denn sein Ende wird Friede 
seyn. 
4- * 
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Hier übt die Tugend ihren Fleiss; 
Und jene Weit reicht ihr den Preis. 
Gedichte
	        
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