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Theorie der Jahreszeiten.
während welcher sie so ausgesetzt ist. Aus diesen an sich selbst klaren Satz
müssen wir unsere Erklärungen der Jahreszeiten gründen.
Wenn sich die Erde in der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche A be¬
findet , so steht die Sonne senkrecht auf dem Durchschnitt des Aequators
FE und der Ekliptik H6. In dieser Lage werden also die beiden Pole
die Grenzpunkte der erleuchteten Seite seyn, und Tag und Nacht wird
auf der ganzen Erdkugel gleich seyn, da die Hälfte der nördlichen und die der
südlichen Hemisphäre zu derselben Zeit beleuchtet sind. Steht die Erde in
der Herbst-Tag- und Nachtgleiche 6, so wird dieselbe Wirkung zum
Vorschein kommen.
Wir wollen nun aber annehmen, die Erde bewege sich von der
Frühlings-Tag- und Nachtgleiche A nach der Sommer-Sonnenwende der
nördlichen Halbkugel B. In dieser Lage ist der Raum innerhalb des ark¬
tischen Kreises, welcher Kreis den Nordpol zum Mittelpunkt und 23° 38'
zum Radius hat, beständig erleuchtet, und hat daher einen immerwährenden
Tag, während es in derselben Entfernung um den Südpol herum bestän¬
dig Nacht seyn muß. Daraus folgt, daß an jedem Orte nördlich vom
Aeguator die Sonne um diese Zeit länger über als unter dem Horizont,
und die Länge der Zeit im Verhältniß zu der Nähe des Orts an den
Polen stehen muß. Das Umgekehrte ist an allen Punkten südlich vom
Aeguator der Fall. Wenn die Erde in die Winter-Sonnenwende der
nördlichen Halbkugel v kommt, so genießt der Südpol den beständigen Tag'
und der Norden eine ununterbrochene Nacht.
Dieß sind die Thatsachen, die sich aus einer relativen Lage und Be¬
wegung der Erde als Theil des Sonnensystems ergeben. Wir haben jetzt
noch zu zeigen, wie diese Wechsel auf die Temperatur der verschiedenen
Gegenden wirken und jene Veränderungen hervorbringen, welche Jahres¬
zeiten heißen. Die Temperatur irgend eines Orts auf der Erdoberfläche
wird hauptsächlich dadurch bestimmt, ob er mehr oder weniger den Son¬
nenstrahlen ausgesetzt ist. Je länger sich die Sonne über dem Horizonte
eines Ortes befindet, desto größer muß die Wärmesumme seyn, die er
empfängt, und um so höher muß seine Temperatur steigen; je länger sie
sich andererseits unter dem Horizont befindet, desto größer muß die Summe
der ausgestrahlten Wärme seyn. Das Gleichgewicht der Temperatur an
irgend einem Orte wird daher durch Empfangen und Abgeben derselben
Wärmesumme während eines Jahrs bestimmt. Wenn ein Ort länger als
12 Stunden über dem Horizont liegt, so wird die Temperatur zunehmen z
liegt er weniger lang darüber, so nimmt sie ab. Da nun die Tage, wenn
sich die Erde von A nach B bewegt, in der nördlichen Halbkugel zuneh¬
men, so steigt die Temperatur, und die Erde hat in der einen Stellung