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Bilder aus Europa. — Deutsches Reich.
Neben dem „großen Remter" liegt unmittelbar „Meisters kleiner
Remter". Er war der gewöhnliche Speisesaal und ist ein überaus schmuckes
Gemach, dessen herrliches Gewölbe nur auf einem achteckigen Pfeiler ruht.
Unmittelbar an dieses Gemach grenzt „Meisters Stube" und bietet mit
seinen zartgrünen Wänden, mit dem lichten Sterngewölbe und mit dem
aus rothen und weißen Fliesen zusammengefügten Fußboden ein beruhigendes
Bild heimischer Abgeschiedenheit und innerer Sammlung. Aeußerst freundlich
nimmt sich das nächste Gemach aus. Ein dreifaches Spitzbogengewölbe
schwingt sich über drei schlanke Granitpfeiler empor. Aus den fünf breiten
fenstern lcuchtet buntfarbige Wappen-Glasmalerei, darunter aber auch die
igur eines Ritters des deutschen, wie des Schwertbrüder-Ordens. Ein
großer Kamin aus Kalkstein schmückt die Hinterwand; der Fußboden glänzt
in altem Fliesenschmuck. Seine Lage geht nach dem Schloßhofe hinaus,
also daß der Hochmeister alles Getreide auf diesem leicht beobachten
konnte. Eine Seitenthüre führt in die „Hauskapelle"; sie ist vorn
mit einem Sterngewölbe, nach hinten zu mit einem Tonnengewölbe ver¬
sehen, und die beiden Spitzbogensenster zeigen die beiden Johannes als
Glasgemälde. — Im deutschen Orden war die Andacht kein von Tages¬
arbeit eben geschiedenes Geschäft, sondern recht mitten im rüstigen Leben,
dieses erhebend und verklärend, und finden wir auch jene Kapelle ganz
von des Meisters Wohnung umschlossen, ja eine Thüre führt uns un¬
mittelbar in dessen „Schlafkammer", ein Kreuzgewölbe von einfach
würdigem Anblick. Die Wanoblenden darin dienten zu Wandschränken für
Kleid und Harnisch; ein eichener Tisch in der Mitte und alterthümliche
Stühle zur Seite der Wand bildeten außer der Bettstelle das ganze Meuble¬
ment. Es ist, als wäre der Hochmeister nur über Land gefahren und müßte
jede Stunde wieder heimkehren. Aus der benachbarten „Rüst- oder Hinter¬
kammer", worin außer des Hochmeisters Laden und Kasten auch dessen
Waffen aufgestellt waren, führt eine lange steinerne Treppe zum unteren
„Conventsremter" hinab, jedoch wohl nur für den Meister selbst be¬
stimmt, wenn er an dem Conventstische der Ritter einmal mitspeisen oder
an ihrer Unterhaltung theilnehmen wollte. Dieser über 34 Meter lange
Saal mit seinen zartweißen, lustigen Sterngewölben, auf drei schlanken,
überaus zierlichen Granitpfeilern ruhend, bietet einen Aufenthalt von unbe¬
schreiblich milder Heiterkeit dar, zumal wenn die Abendsonne die bunten
Schildereien der acht hohen Spitzbogenfenster bespiegelt und den farbigen
Fliesenteppich mit phantastischen Blumen bestreut. Denken wir uns diesen
Raum belebt von den ehrwürdigen Gestalten jener Ritter, welche alltäglich
Mittags und Abends sich dort zu versammeln pflegten, Männer aus den
edelsten Geschlechtern aller Gauen Deutschlands, so tritt die Herrlichkeit
jener dahingesunkenen Zeit uns so lebendig vor die Seele, als hätten wir
mit eigenen Augen sie geschaut.
Ern höchst originelles Kunstdenkmal besitzt die Marienburg in der
„goldenen Pforte". Diesen Namen führt nämlich der im hohen Spitz¬
bogen tief in die Mauer eingelegte und reich verzierte alte Eingang zur
Schloßkirche. Schon wegen ferner ehemaligen reichen Vergoldung und seiner
sonstigen künstlerischen Bedeutsamkeit könnte er mit Recht „die goldene Pforte"
genannt sein, obgleich dieser Ausdruck nicht mit Bestimmtheit herzuleiten
ist. Noch ist die alte hölzerne Thür desselben vorhanden und an dem
phantastisch verschlungenen Bild- und Blätterschmuck aus gebranntem Thon
bei dieser Pforte die frühere Vergoldung zum Theil noch sichtbar.
Es ist ein eigener Zusammenhang darin, daß der Hochmeister gerade
von Venedig aus in die Marienburg einzog, und daß man heute, wenn
man den Bau mit andern vergleichen will, an den Marcusplatz erinnert