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Vater. WaS meinst du, Kind; sollte baS viel¬
leicht auch eine Frage der Liebe und Barmherzig!eit seyn,
die der himmlische Vater aus dem verschneiet» n Walde
an uns zu bestellen hätte?
Kind. Ich will das Fenster öffnen! Ick- will es
herein lassen und ihm Futter streuen!
Vater. Mir fallt dabei der schöne Spruch in der
heiligen Schrift ein, den uns ebenfalls Christus gelehrt
hat: „Sehet die Vögel unter dem Himmel an —"
Kind. (hastig.) „Sie säen nicht, sie arnten nickt;
sic sammeln nicht in die Scheuern, und euer himmlischer
Vater nähret sie doch!"
Vater. Wenn du diesen Spruch wrr einigerma¬
ßen verstehst, liebes Kind, so wirst du auch bchd einse¬
hen lernen, daß es nicht blos ein Vater unser für Men¬
schen, sondern auch ein Vaterunser für Blumen und Vo¬
gel giebt. Wenn nämlich ihr Vater auch zugleich unser Va¬
ter ist; wenn jeder Arme, der an unsere Thür kldpft,
nach dem Evangelio, als von Christus gesandt, erscheint,
so wird auch wohl das arme, halherfrorne Vbglein
dort, das an unser Fenster pickt, den-nämlichen Gruß
der Liebe und Barmherzigkeit an uns zu bestellen haben!
Wanderer (der mit gefalteten Handen und ent¬
blößtem Haupt vom Tisch aufsteht.) „D,eg walte Gott
Vater, Sohn und heiliger Geist! Amen!"
Kind. ^ Komm, fremder Mann, und Löst dir nun
deine Schlafstätte von mir anweisen!
Vater. Vorher wollen wir noch, mein liebes
Kind — indeß dein Rothkehlchen die übrig gebliebenen
Brosamen von dem weißen Tischtuch aufpickt — jenen
schönen Abcndgesanq singen, der, so oft ick ihn höre,
mir das Herz ausschließt, und mich vergessen macht,
daß ich noch im Reich dieser Welt bin,- wv der arme
Mensch mit tausenderlei Dingen zu kämpfe», hat, die
dem Reiche Gottes, wenigstens nur sehr yow weitem,
angehören.
Gesang.
Mel. Hcil'ge Liebe re.
Urquell sel'qer Himmelsfreiidcn,
Jesus, dem mein Herz entbrannt;
Dich zu speisen, dich zu kleiden.
Ist, mein Heiland, mir vergönn«?