Full text: [[Abteilung 1] = Abteilung für Tertia und Untersekunda in einem Bande, [Schülerband]] ([Abteilung 1] = Abteilung für Tertia und Untersekunda in einem Bande, [Schülerband])

Kaiser Wilhelm II.: „An Mein Volk". „Königin Luise an ihren Vater". ZgZ 
E. 
Briefe. 
63. Brief der Königin Luise cm ihren Vater, den Herzog 
Karl Ludwig Friedrich von Mecklen-urg-Strelitz. 
Memel, den 17. Juni 1807. 
Mit der innigsten Rührung und unter Tränen der dankbarsten Zärtlichkeit 
habe ich Ihren Brief vom Monat April gelesen. Wie soll ich Ihnen danken, 
bester, zärtlichster Vater, für die vielen Beweise Ihrer Liebe, Ihrer Huld, Ihrer 
unbeschreiblichen Vatergüte! Welcher Trost ist dieses nicht für mich in meinem 
Leiden und welche Stärkung! Wenn man so geliebt wird, kann man nicht ganz 
unglücklich sein. 
Es ist wieder aufs neue ein ungeheures Ungemach über uns gekommen, 
und wir stehen ans dem Punkt, das Königreich zu verlassen. Bedenken Sie, 
wie mir dabei ist; doch bei Gott beschwöre ich Sie, verkennen Sie Ihre Tochter 
nicht! Glauben Sie ja nicht, daß Kleinmut mein Haupt beugt. Zwei Haupt¬ 
gründe habe ich, die mich über alles erheben; der erste ist der Gedanke: wir sind 
kein Spiel des blinden Zufalls, sondern wir stehen in Gottes Hand, und die 
Vorsehung leitet uns; der zweite: wir gehen mit Ehren unter. Der König hat 
bewiesen, der Welt hat er es bewiesen, daß er nicht Schande, sondern Ehre will. 
Preußen wollte nicht freiwillig Sklavenketten tragen. Auch nicht einen Schritt 
hat der König anders handeln können, ohne seinem Charakter untreu und an 
seinem Volke Verräter zu werden. Wie dieses stärkt, kann nur der fühlen, den 
wahres Ehrgefühl durchströmt. 
Durch die unglückliche Schlacht von Friedland*) kam Königsberg in fran¬ 
zösische Hände. Wir sind vom Feinde gedrängt, und wenn die Gefahr nur 
etwas näher riickt, so bin ich in die Notwendigkeit versetzt, mit meinen Kindern 
Memel zu verlassen. Der König wird sich wieder mit dem Kaiser vereinigen. 
Ich gehe, sobald dringende Gefahr eintritt, nach Riga. Gott wird mir helfen, 
den Augenblick zu bestehen, wo ich über die Grenzen muß. Da wird es Kraft 
erfordern; aber ich richte meinen Blick gen Himmel, von wo alles Gute und 
Böse kommt, und mein fester Glaube ist: er schickt nicht mehr, als wir tragen 
können! Noch einmal, bester Vater, wir gehen unter mit Ehren, geachtet von 
Nationen, und wir werden ewig Freunde haben, weil wir sie verdienen. Wie 
beruhigend dieser Gedanke ist, läßt sich nicht sagen. Ich ertrage alles mit einer 
solchen Ruhe und Gelassenheit, die nur Ruhe des Gewissens und reine Zuversicht 
geben kann. Deswegen seien Sie iiberzengt, bester Vater, daß wir nie ganz 
unglücklich sein können, und daß mancher, mit Kronen und Glück bedrückt, nicht 
so froh ist, als wir es sind. Gott schenke jedem Guten den Frieden in seiner 
Brust, und er wird noch immer Ursache zur Freude haben. Noch eins zu 
Ihrem Troste, daß nie etwas von unserer Seite geschehen wird, das nicht mit 
*) Am 14. Juni 1807.
	        
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