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Und wahrlich, hätt' er gesungen so lange, als es währt, 
Wann einer tausend Meilen zu Roß und Wagen fährt, 
Es würde ihnen allen, da er so süße sang, 
Nicht mehr gedünket haben, als einer Spannen lang. 
Nun, da er ausgesungen und sich vom Sessel hob, 
Der Freude Purpurröthe jung Hilde's Wang' umwob, 
Sie warf sich eilig über ein lichtes Morgengewand, 
Noch eiliger aber wurde zu ihrem Vater gesandt. 
Und als der kam zur Tochter, stand sie in trübem Sinn, 
Doch streichelt bald sie kosend des Vaters bärtiges Kinn, 
Und wie wohl Kindlein pflegen, sie bittend in ihn dringt: 
'Lieb Väterchen, gebiete, daß er noch mehr uns singt.' 
Er sprach: 'Du liebe Tochter, ich gäb' ihm tausend Pfund, 
Wenn er dir singen wollte zu einer Abendstund'; 
Doch wisse, meine Gäste Hochmuth gefangen hält, 
Daß ihnen leider nimmer sein Singen wohlgefällt.' 
Wie sie auch bitten mochte, der König gab nicht nach; 
Als Horant aber hörte, wie's Hagen widersprach, 
Da sang er eine Weise so hold und ritterlich, 
Daß Sieche und Gesunde ein süßes Weh beschlich. 
Die Hirsche ließen horchend im Wald die Weide stehn, 
Im Grase lag's Gewürme, als könnt's nicht fürder gehn, 
Die schillernden Fische tauchten aus ihrer Flut hervor, 
Ja selbst die Bäume neigten ihr grünes Blätterohr. 
Und in der Näh' und Ferne, so weit sein Lied erklang, 
Schwieg plötzlich in den Hallen der Pfaffen Chorgesang; 
Auch tönte der Schall der Glocken nicht mehr so rein als eh', 
Ja alles, was ihn hörte, dem ward nach Horant weh. — 
Nun ruht' jung Hilde nicht eher, bis sie Horanden gewann 
— Und wär's auch um ihr Leben und ihre Ehre gethan —, 
Daß er ihr heimlich sänge in ihrem Zimmer allein, 
Denn vor den beiden Eltern soll's wohl verschwiegen sein. 
Und einem schlauen Diener, der ihr gar treu und hold, 
Versprach sie nun zum Lohne zwölf Spangen von rothem Gold, 
Wenn er bescheiden wollte den liederreichen Mann; — 
Hei, wie so schnell der Diener sich da den Sold gewann! 
Drauf, wie sie's ihm geheißen, stellt er als Wacht zuvor, 
Daß keiner sie überrasche, sich vor des Hauses Thor, 
Indes zur festen Stunde Horant sich zu ihr schleicht, 
Sich freuend, daß er endlich sein Liederziel erreicht. 
Da sprach sie: 'Setzt Euch nieder, seid mir willkommner Gast, 
Und singt, was mir wie Zauber das Herz schon oft erfaßt; 
Denn wahrlich, Eure Stimme, ach, wäre die nur mein, 
Ich gäbe sie nicht ums Leben, um Gold und Edelstein!' 
'Ja, könnt' ich Euch nur singen, vielschöne Königsmaid, 
Daß mir darum Euer Vater nicht fügte Todesleid, 
Dann dient' ich Euch mit Freuden; doch seinem Grimme fern, 
Wollt' ich viel lieber singen im Lande meines Herrn.'
	        
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