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I. Die Israeliten.
wo David wunderbare Töne anschlug, und diese Dichtkunst auf einen
nach ihm nicht überstiegenen Gipfel stellte.
Die größte Trübsal erwuchs dem alternden ■ Könige aus seinem
eigenen Hause, in dem die schlimmen Folgen nicht ausblieben, welche die
Vielweiberei bis auf den heutigen Tag über den Orient bringt, Zwie¬
tracht der Söhne verschiedener Frauen unter einander und ihre Ent¬
fremdung vom Vater. Absalon, ein Sohn David's von ausgezeichne¬
ter Körperschönheit, pflanzte offen die Fahne der Empörung auf und
fand so zahlreichen Anhang, daß David Jerusalem gegen ihn nicht be¬
haupten zu können glaubte, sondern mit seiner Leibwache und einer an¬
dern Schaar von Getreuen die Stadt verließ, mehr über die Entartung
des noch immer geliebten Sohnes trauernd, als über den drohenden
Verlust der Herrschaft bekümmert. Auf dieser Flucht erfuhr er rüh¬
rende Beweise von Anhänglichkeit, aber auch schnöden Schimpf und
Spott, während Absalon in der Hauptstadt, die er sogleich besetzt hatte,
sich mit dem ausgelassensten Uebermuthe benahm. Den Rath, welchen
Ahitophel, ein zu ihm übergetretener Staatsdiencr David's, ihm gab,
dem fliehenden David sofort nachsetzen zu lassen, verachtete Absalon,
und ließ eine Zeit verstreichen, die der König benutzt haben muß, Ver¬
stärkungen an sich zu ziehen, denn als Absalon endlich nufgebrochcn war,
und mit dem Heere seines Vaters zusammcnstieß, erlitt er eine gänz¬
liche Niederlage, und da er selbst das Mißgeschick hatte, fliehend mit
seinen schönen laugen Haaren in den Zweigen einer Terebinthe hängen
zu bleiben, wurde er von dem herbeieilenden Joab erstochen. Bei die¬
ser Nachricht brach der Vater in lautes Wehklagen aus; so groß war
noch immer die Liebe zu dem aufrührerischen Sohne in seinem Herzen,
daß er sich der wiedererlangten Herrschaft kaum freuen konnte.
Fassen wir das Bild seines ganzen Lebens zusammen, so müssen
wir sagen, daß er die Spitze der ganzen Erhebung bildet, zu welcher
das Volk Israel seit länger als einem Jahrhunderte immer mächtiger
emporstrebte, und deren Ziel es mit solchem Erfolge erreichte, als jene
Jahrhunderte es überhaupt erreichen konnten. Dieses Ziel war kein
anderes, als der wahre Besitz eines irdischen Vaterlandes und in diesem
die feste Einheit aller Glieder des Volkes, das nun in voller Selb¬
ständigkeit und Ruhe seine Volksthümlichkeit, wie seine Religion auf's
freieste entwickeln konnte. Jetzt erst ist Israel ein wahres Volk der
Erde den andern gegenüber und hat erreicht, was es seit Moses' letzten
Tagen noch nicht vollkommen erreichen konnte. Und wie David sich
als wahren König Jehovah's, so fühlt sich das Volk jetzt mit noch stol¬
zerem Bewußtsein, denn früher, als Volk Jehovah's, und während es
nie vergißt, wer sein letzter und unsterblicher König sei, folgt cs doch
auch dem menschlichen gern und willig, empfängt Herrlichkeit von seiner
Herrlichkeit und trägt ihn wieder mit seiner Liebe und Treue. So
scheint die nothwendig gewordene Veränderung der alten Verfassung glück¬
lich ausgeführt und vollendet die Gott- und Königsherrschaft.