Full text: Geschichte der Neuzeit seit dem Jahre 1648 (Teil 5)

71. London. 
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zerlumpten Gestalten während des Tages unterschlüpfen, weiß oft nicht einmal 
die Polizei. 
Die Atmosphäre Londons behagt dem Fremden wenig. Kohlenstaub und 
Rauch belästigen fortwährend seine Kehle und Nase. Der Ruß fällt als feiner 
Regen auf die Menschen und Dinge nieder. Die Hänser sind davon mit einer 
schwarzen Kruste überzogen, und die blendendste Wäsche ist schon nach einer 
Stunde in üblem Zustande. k 
Weitere und bequemere Räume als die enge City zeigt das „Westend", 
der Stadtteil mit den Wohnungen der Aristokratie Londons, der „oberen 
Zehntausend". Und wie gesund wohnt sich's hier! Denn außer zahlreichen 
grünen Plätzen finden sich hier weitgedehnte Parkanlagen, die man bezeichnend 
die Lungen von London genannt hat, noch mitten in der Stadt. Doch tragen 
sie alle — der Jamespark, Greenpark, Hydepark uud die Kensington Gardens — 
einen mehr aristokratischen Anstrich, während der im Nordwesten der City 
gelegene Regentspark vorherrschend von den Mittelklassen besucht wird, und 
in den entfernteren. Parks (z B. dem Victoriaparke) auch die niederen Volks- 
klassen zu ihrem Rechte kommeu. In diesen schönen Anlagen (Parks) mit den 
herrlichen Grasflächen und Banmgrnppen giebt es keine „verbotenen" Räume. 
Jedermann wandert, wo er will, über den grünen Rasen dahin, lagert sich, 
wo er will, unter schattenspendenden Bäumen. Nach dem Regentsparke, der auch 
den zoologischen und botanischen Garten enthält, ist der Hydepark der größte. 
Wie herrlich ist eine Wanderung durch diesen schönen Park! Auf saftiggrünen 
Wiesen weiden hinter lebendigen Hecken Schafherden; reinliche Kiespfade und 
dichte Alleen hundertjähriger Bäume durchschneiden überall die Rasenflächen; 
mit den Wiesenflächen wechseln Wasserspiegel, auf welchen leichte Ruderboote 
umherschießen, ausländische Wasservögel lärmen und weiße Schwäne ihre stillen 
Kreise ziehen; in dem Buschwerke sanft ansteigender Hügel schlägt die Nach- 
tigall. An anderen Stellen erfreut sich das Auge an einem Teppiche ent- 
zückender Blumenbeete; auf founigen Rasenflächen spielen Hunderte geputzter, 
schöner Kinder unter der Aufsicht von Kindermädchen und Erzieherinnen; stille 
verlassene Laubgänge und geheimnisvolle Haine laden den Wanderer ein, sich 
auf den daselbst aufgestellten bequemen Bänken niederzulassen. Am südlichen 
Saume diefes schönen Parks zieht sich Rotten-Row hin, eine breite, von 
mächtigen Bäumen eingefaßte Reit- und Fahrstraße, auf der sich täglich zwei- 
mal das vornehme und reiche London in feiner ganzen Pracht zur Schau 
stellt. Neben und zwischen den Wagen und auf Parallelstraßeu tummeln sich 
stolze Reiter und fchöne Reiterinnen. Wer die englische Aristokratie, die 
stolzeste, mächtigste und reichste der Welt, studieren will, kann es hier am 
besten. Wie stolz und steinern fitzen diese Leute in ihren festen, schwerfälligen 
Fahrzeugen, welche doch dabei die gediegenste Pracht zeigen! Mit halbgeöffneten
	        
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