Full text: Der Deutsche Kinderfreund

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und des Nachdenkens. 
Ich höre den Gesang der Vögel, das Rollen des Don¬ 
ners, den Schall der Glokken, das Knallen einer Peitsche, 
das Wiehern eines Pserdes, das Rieseln eines Baches, die 
Töne der Musik, und den leisen Schlag einer Taschenuhr. 
Ich kann in weiter Ferne das Bellen eines Hundes, das 
Krähen eines Hahnes, den Schall einer Glokke und den 
Knall einer Flinte oder Kanone hören. 
Ich fühle, daß das Feuer brennt, und das ftische 
Quellwaffer kühlt, daß die Sonnenstrahlen mich erwärmen, 
daß der Stein hart, die Wolle weich, das Eis kalt, der 
Spiegel glatt, und der Hut rauh ist. — Ich schmekke die 
Süßigkeit des Zukkers, die Säure des Essigs und die Bitter¬ 
keit der Mandel. 
Ich rieche mit Wohlgefallen den Duft der Rose, des 
Veilchens, der Hyacinthe und der Aurikel. Ich rieche mit 
Mißfallen den Dust einiger Blumen, und empfinde den 
üblen Geruch des frischen Mistes. 
Ich erinnere mich einer Geschichte, die ich vor einiger 
Zeit gehört; eines Fremden, den ich einmal gesehen; eines 
Schmerzes, den ich einmal empfunden; eines Vergnügens, 
das ich vor langer Zeit genossen; und dessen, was ich ge¬ 
stern in der Schule gelernt habe. Ich kann mir vorstellen, 
wie ein Schiff aussieht; denn ich habe schon oft Schiffe 
gesehen. Ich kann mir vorstellen, wie mein Vater, meine 
Mutter und mein Bruder aussehen, ob ich sie gleich jetzt 
nicht vor mir sehe. 
Ich kann mich an Alles, was ich gesehen, gehört, em¬ 
pfunden und gefühlt habe, deutlich erinnern, oder ich kann 
mir dies Alles vorstellen, ohne dazu meinen Kopf, meine 
Hand, meinen Fuß, meine Augen, Ohren und Nase zu 
gebrauchen. Die Kräfte, mit welchen ich mir etwas vor¬ 
stelle, mich an etwas erinnere, über etwas nachsinne, etwas 
empfinde, oder etwas will, oder etwas verlange, sind keine 
Kräfte meines Leibes, sondern Kräfte meiner Seele, 
oder Seelenkräfte. Meine Seele ist in mir, aber ich 
kann sie nicht sehen, sondern ich kann nur an meinen Vor¬ 
stellungen, Gedanken und Empfindungen merken, daß ich 
eine Seele habe. 
Hätte ich keine Seele, so könnte ich nichts begreifen, nichts 
lernen, nichts verstehen: ich könnte weder rechnen, noch schrei¬ 
ben, noch lesen; denn indem ich lese, oder rechne, muß ich zu¬ 
gleich denken, und denken kann ick nur mit meiner Seele.
	        
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