Full text: Lesebuch für Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten in Elsaß-Lothringen

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287. Arbeitsmaßstäbe. 
Fast jeder Beruf glaubt, ihm sei der Fluch schwerster Mühsal der 
Arbeit zugefallen; denn die Plage unsres Schaffens ergründen wir freilich 
zu jeder Stunde, bei dem fremden dagegen sehen wir meist nur die Frucht 
des Tagewerks und den Feierabend. Am höchsten steigt solche gegenseitige 
Ungerechtigkeit bei grundverschiedenen Berufen und ist hier gewiß so alt, wie 
die Teilung der Arbeit selber. Wer sich durch seiner Hände Arbeit nährt, 
der glaubt kaum, daß Geistesarbeit den gleichen Schweiß kosten könne; er¬ 
ahnt nicht, daß der Geistesarbeiter inwendig schwitzt; umgekehrt achtet der 
Mann des geistigen Berufs die Mühen des Handarbeiters oft viel zu wenig. 
So erwächst dort Neid, hier Hoffart, überall aber ein höchst ungerechtes 
Urteil über die Ehre fremder Arbeit. Die Arbeitskraft von Maschinen aller 
Art kann man wohl nach der Einheit der Pferdckraft messen und vergleichen; 
wer aber bestimmt die „Pferdekraft", mit welcher täglich hier ein Grobschmied, 
dort ein Minister arbeitet? 
Riehl. 
288. Arbeitergruß. 
Vom nahen Eisenwerke, 
berußt, mit schwerem Gang, 
kommt mir ein Mann entgegen, 
den Wiesenpfad entlang. 
Mit trotzig finstrer Miene, 
wie mit sich selbst im Streit, 
greift er an seine Mütze — 
Gewohnheit alter Zeit. 
Es blickt dabei sein Auge 
mir musternd auf den Rock, 
und dann beim Weiterschreiten 
schwingt er den Knotenstock. 
Ich ahne, was im Herzen 
und was im Hirn ihm brennt: 
„Das ist auch einer," denkt er, 
„der nicht die Arbeit kennt. 
Lustwandelnd hier im Freien 
verdaut er üpp'ges Mahl, 
indes wir darbend schmieden 
das Eisen und den Stahl. 
Er sucht den Waldesschatten, 
da wir am Feuer stehn 
und in dein heißen Brodem 
langsam zugrunde gehn. 
Der soll es noch erfahren, 
wie es dem Menschen tut, 
muß er das Atmen zahlen 
mit seinem Schweiß und Blut." — 
Verziehen sei dir alles, 
womit du schwer mich kränkst, 
verziehen sei dir's gerne: 
du weißt nicht, was du denkst. 
Du hast ja nie erfahren 
des Geistes tiefe Müh'n 
und ahnst nicht, wie die Schläfen 
mir heiß vom Denken glüh'n. 
Du ahnst nicht, wie ich hämmre 
und feile Tag für Tag — 
und wie ich mich verblute 
mit jedem Herzensschlag. 
F. v. Saar. 
289. Das Kleingewerbe. 
Wie alles in der Welt der Veränderung unterworfen ist, so auch das 
Gewerbewesen. Nachdem Jahrhunderte hindllrch Meister, Gesellen und
	        
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