Full text: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

26. Beginn der Reformation. 
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die Hälfte studiert." Einmal, wie er die Bücher in der Universitäts-Biblio¬ 
thek fein nach einander besieht, kommt er über die lateinische Bibel. Da ver¬ 
merkt er mit großem Verwundern, daß viel mehr darin steht, als man in den 
gewöhnlichen Postillen und aus den Kanzeln pflegte auszulegen. Wie er sich 
im A. T. umsieht, kommt er über Samnelis und seiner Mutter Hanna Geschichte, 
und weil ihm dieses neu war, sängt er an von Grund seines Herzens zu 
wünschen, unser getreuer Gott wolle ihm einst auch ein solch Buch bescheren. 
In großer Angst um seiner Seelen Seligkeit, insonderheit, als ihm sein 
guter Freund erstochen ward und ihn ein großes Wetter und greulicher Donner¬ 
schlag hart erschreckte, so daß er zur Erde niederfiel, ging er 1505 in das 
Kloster, um dort mit Mönchswerken Gott zu dienen und die Seligkeit zu 
erwerben. Aber obwohl er mit Wachen, Beten, Lesen und anderer Arbeit sich 
fast zu Tode marterte, war er doch immer traurig; er würde verzweifelt sein, 
wenn ihm Gott nicht in seiner Not einen alten Klosterbruder zugeschickt hätte. 
Dieser verwies ihn, als er ihm seine Anfechtungen klagte, ans die Worte: 
„Ich glaube an eine Vergebung der Sünden." Es sei nicht genug, im allge- 
meinen zu glauben, daß etlichen vergeben werde, wie auch die Teufel glauben, 
daß dem David oder Petrus vergeben sei, sondern das sei Gottes Wille, daß 
jeglicher glaube, daß ihm 'cergeben werde. 
Im Jahre 1508 kam Luther wegen seiner sonderlichen Geschicklichkeit 
und ernstlichen Frömmigkeit als Lehrer an die neue Universität nach Witten¬ 
berg. Er lehrte so gewaltig, daß sich verständige Männer sehr verwunderten 
und einer sagte: „Dieser Mönch wird alle Doktoren irre machen und eine neue 
Lehre aufbringen und die ganze römische Kirche reformieren; denn er legt sich 
ans der Propheten und der Apostel Schrift und stehet ans Jesu Christi Wort." 
1510 wurde er in Klostergeschästen nach Rom geschickt, davon er später 
oftmals gesagt hat: „Ich wollte nicht 100000 Gulden nehmen, daß ich Rom 
nicht gesehen hätte." In Andacht war Luther nach Rom gekommen und hoffte 
dort den Frieden für seine Seele zu sinden. Aber er entsetzte sich über He 
gotteslästerlichen Reden der Priester bei Tische. „Daneben ekelte mir, daß sie 
so sicher und fein rips raps konnten Messe halten, als trieben sie ein Gaukel¬ 
spiel; denn ehe ich zum Evangelio kam, hatte mein Nebenpfaffe seine Messe 
ausgerichtet und schrie zu mir: „Immer weg, komm' davon!" Und als er die 
Stufen der Pilatusstiege hinauf rutschte, um mit solchem Werke Vergebung 
der Sünden zu verdienen, war ihm nicht anders zu Mute, als riefe ihm eine 
Donnerstimme zu: „Der Gerechte lebt seines Glaubens." Runkwitz. 
26. Beginn der Reformation. 
"lnt Jahre 1517 kam ein Mönch, der Dominikaner Johann Tetzel, ans 
^ seinem Zuge durch Deutschland auch nach Jüterbogk bei Wittenberg, und 
alles Volk drängte sich zu ihm; denn er verhieß den Erlaß aller Strafen, zeit¬ 
licher und ewiger, für vergangene und zukünftige Sünden. Jeder, der ein 
Geldstück, Groschen oder Gulden oder Dukaten, nach der Schwere der Sünde, 
in seinen Kasten legte, bekam einen Ablaßbrief, und damit war er seiner 
Schuld ledig. Nämlich in Rom hatte man eine große Kirche, die Peterskirche, 
zu bauen angefangen, aber sie zu vollenden, fehlte es an Geld; darum schrieb
	        
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