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erst zu der Zeit der Minnesänger. Der Spruch des Psalmisten: „wessen
Herz sröhlich ist, der singe Psalmen," erhielt seine volle Geltung.
Auch in der bildenden Kunst sehen wir erst die Versuche und
Anfänge zu einer, der Volkseigenthümlichkeit zusagenden Kunstform durch¬
dringen. In der Baukunst galt der römische und griechische Styl
lange als einziges Muster, doch begann schon der hohe Geist des Mittel¬
alters aus der fremden, angenommenen Form in Spitzbogen, gothischen
Giebeln und Thürmen mächtig emporzustreben. Den wachsenden Reich¬
thum in Deutschland zeigten die zahlreicheren und stets in'S Großartigere
gehenden Bauwerke. Zu Konrad's und Heinrich II. Zeit wollte man
schon nicht mehr für das Bedürfniß des Augenblicks, sondern für Reihen
von Jahrhunderten bauen. Man machte die Pläne in der Art, daß ein
Menschenalter zu deren Ausführung nicht hinreichen konnte. Die größeren
Bauten des zehnten Jahrhunderts gehörten größtentheils den sächsischen
Ländern an; dann aber erhoben sich riesenhafte Prachtbauten gleicherweise
am Rhein und Main, in Schwaben und Baiern. „Eine wahre Bauwuth
hatte um die Mitte des elften Jahrhunderts die Bischöfe befallen;" wo
sie hölzerne Kirchen fanden, bauten sie steinerne, ihre Pfalzen wurden
größer und prächtiger, die Städte befestigten sie mit starken Mauern und
Thürmen; sie wetteiferten in dieser Beziehung mit den Kaisern, zur Ehre
Gottes und zu ihrer eigenen Ehre und zum Schmuck der deutschen Gauen.
Die Malerei zeigte sich in ihren Anfängen zur Ausschmückung von
Kirchen; die Künste aber, welche mit dem Gewerbe am nächsten in
Verbindung stehen, standen in hoher Vollendung. Schnitzwerk, Gold-,
Silber- und Elfenbeinarbeiten, Schmuckwerk, künstliche Gefäße, kostbare
Gewebe wurden mit unnachahmlicher Pracht und Zierlichkeit gefertigt.
Auch in dieser Beziehung nennt die Geschichte zwei Geistliche als besondere
Förderer und Beschützer des Kunst- und Gewerbfleißes, Mein werk,
Bischof von Paderborn, und Bernward von Hildesheim.
Eine solche Strebsamkeit mußte nothwendig Handel und Verkehr in
hohem Maße steigern. In den Städten erhob sich reges Leben, es bildeten
sich Kaufmannschaften für den in- und ausländischen Handel. Die Ver¬
bindung mit Italien, wo die reichsten Schätze der alten Kultur nieder¬
gelegt waren, blieb noch immer die erste Hülfsquelle für die vermehrten
Bedürfnisse. Anders aber sah es auf dem Lande aus, und wohl hatte
das Volk mit Recht über Vieles zu klagen. Die Siege der Kaiser brachten
dem Landmann wenig Gewinn; die herrschaftlichen Bauten wurden durch
den Frohndienst des armen Landvolkes aufgeführt, und ob sie auch um
dieser Lasten willen die Arbeit auf ihrem eigenen Felde vernachlässigen
mußten, der Zins wurde ihnen nicht erlassen. „Mit dem Schweiße der
Armuth wurden die stattlichen Kirchen erbaut, und während der Glanz
des Reiches in höchster Blüthe strahlte, verbreiteten Mißerndten und an¬
steckende Krankheiten Elend und Unheil in den niedersten Schichten des