Full text: Lesebuch für Gewerbliche Fortbildungsschulen und verwandte Anstalten

6. Du sollst den Sabbat heiligen. 
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gangen, wie es einem Christen am Sonntag geziemt, und habe die Predigt 
angehört und dem Gottesdienst beigewohnt." „Ohne Zweifel," entgegnete 
der Kurfürst etwas betroffen, „hat der alte Pfarrer sehr erbauend ge¬ 
predigt?" „Gewiß, wie immer, und nach der Predigt hat er einen 
kurfürstlichen Erlaß vorgelesen." 
„Einen kurfürstlichen Erlaß? Wes Inhalts?" 
„Nicht wahr, Herr Hofmarschall, war es nicht der Erlaß, in dem 
Seine Durchlaucht das Jagen am Sonntag verbietet? Wenn es mir 
recht ist, muß der Übertreter dieses Erlasses drei Reichstaler Strafe 
zahlen." 
„So ist es," rief der Kurfürst, lächelte etwas verlegen und sagte: 
„Diesmal bin ich in der eigenen Falle gefangen worden. Lieber Hof- 
marfchall, befehlen Sie, daß angespannt und der Herr Pfarrer zur Abend¬ 
tafel hierher gebracht werde!" 
Es entstand eine augenblickliche Stille, die aber der Kurfürst rasch 
unterbrach, indem er von der Jagd sprach. 
Der Pfarrer geriet in nicht geringe Aufregung, als der fürstliche 
Wagen vor seinem Hause hielt um ihn nach dem Schlosse zu bringen. 
Schnell aber verschwand seine Angst und seine Verlegenheit, als ihm 
nach feinem Eintritt in den Speisesaal der Kurfürst die Hand entgegen¬ 
streckte und ihn an seiner Seite Platz nehmen ließ. Bald schmeckte ihm 
Speise und Trank ganz vortrefflich. 
Nach Beendigung der Tafel wandte sich der Kurfürst auf einmal 
an den Pfarrer und sagte mit ernster Stimme: „Nun habe ich mit Ihnen, 
geistlicher Herr, ein Wort zu sprechen." Es entstand eine feierliche Stille 
im Saal und der Pfarrer dachte erschrocken: „Jetzt kommt doch, was 
ich im stillen befürchtet habe!" Der Kurfürst fuhr fort: „Seien Sie 
ohne Sorge, mein lieber Herr Pfarrer! Ich habe eine Strafe von drei 
Reichstalern zu zahlen; denn ich habe den kurfürstlichen Erlaß, den Sie 
heute von der Kanzel verkündigten, übertreten." 
Mit diesen Worten legte er eine Handvoll Dukaten in ein silbernes 
Tellerchen, überreichte es dem Pfarrer und sprach lächelnd: „Gehen Sie 
damit an der Tafel herum und sammeln Sie den gesetzlichen Strafbetrag 
auch bei diesen Herren ein, die mit mir auf der Jagd gewesen sind! 
Keiner von ihnen hat mich an den Sonntag und meinen Erlaß erinnert." 
Der Pfarrer verbeugte sich untertänigst dankend und ging nun mit 
dem silbernen Teller bei den Jagdgenossen umher. Bald war derselbe 
mit einer ansehnlichen Summe bedeckt und der Pfarrer sprach seinen 
herzlichsten Dank aus.
	        
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