14. Morgenlied. — 15. Ein Gespenst. — 16. Rat des Vaters an seinen Sohn. 15
14. Morgentied.
1. Verschwunden ist die finstre Nacht,
Die Lerche schlägt, der Tag erwacht,
Die Sonne kommt mit Prangen
Am Himmel ausgegangen.
Sie scheint in Königs Prunkgemach,
Sie scheinet durch des Bettlers Dach,
Und was in Nacht verborgen war,
Das macht sich kund und offenbar.
2. Lob sei dem Herrn und Dank gebracht,
Der über diesem Haus gewacht,
Mit seinen heil'gen Scharen
Uns gnädig wollt' bewahren.
Wohl mancher schloß die Augen schwer
Und öffnet sie dem Licht nicht mehr,
Drum freue sich, wer neu belebt
Den frischen Blick zur Sonn' erhebt! Schmer.
15. Gin Gespenst.
Ich weiß wohl, lieber Leser, daß du nicht an Gespenster glaubst
wie ich auch nicht. Es gibt aber ein Gespenst, das ich oft gesehen habe
bei Leuten, die auf harten Bänken, und bei Leuten, die auf weichen
Polstern sitzen. Ich habe es am Hellen Tage, bei der einsamen Öllampe
und beim Schein von hundert Wachskerzen gesehen.
Du kennst die Sage, daß der Geist des Menschen, der gewaltsam
um sein Leben gekommen, als Gespenst in der Welt umwandle. Viele
Menschen schlagen die Zeit, das kostbarste aller Güter, gewaltsam tot
durch Nichtstun oder dadurch, daß sie etwas treiben, was nicht viel mehr
als Nichtstun ist, und da kommt dann das Gespenst der gemordeten
Zeit, die Langeweile, und setzt sich den Mördern, wo sie sind, auf
den Nacken; es macht kein Geräusch, es macht nur gähnen. Willst du
das Gespenst von dir bannen, mußt du immer etwas Rechtes tun oder
denken. B. Auerbach.
16. Wat des Waters an seinen Sohn.
1. Du wanderst in die Welt hinaus
Auf dir noch fremden Wegen,
Doch folgt dir aus dem stillen Haus
Der treusten Liebe Segen.
2. Ein Ende nahm das leichte Spiel,
Es naht der Ernst des Lebens;
Behalt im Auge fest dein Ziel,
Geh keinen Schritt vergebens!