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I. Etwas von der Muttersprache. 
Unsere Muttersprache hat ein ehrwürdiges Alter. In ihrer ältesten 
Form ist sie uns als Gotisch bekannt durch die Bibelübersetzung des 
gotischen Bischofs Ulsilas (f 381). Früh verzweigte sie sich in Nieder 
und Hochdeutsch. Aus dem Hochdeutschen entwickelte sich unsere jetzige 
Nationalsprache. Zu Karls des Großen Zeit sprach man Althochdeutsch, 
zur Zeit der Hohenstaufen Mittelhochdeutsch. Der Begründer des 
Neuhochdeutschen wurde Luther durch seine Bibelübersetzung. Zur 
herrlichsten Ausbildung wurde sie aber erst im 18. Jahrhunderte durch 
Lessings Proja und Goethes und Schillers Dichtungen gebracht. Mit Recht 
rühmt man jetzt ihre Ursprünglichkeit und Tiefe, Anschaulichkeit und Bild¬ 
lichkeit, ihren Reichtum und Wohlklang, ihre Biegsamkeit und Zusammen¬ 
setzungsfähigkeit; mit Recht nennt man sie eine Sprache, die dichtet und 
denkt. Haltet sie darum hoch und wert! 
Lies: Muttersprache, Mutterlaut. Vaterland 177 u. Anh. Weite Welt 163. 
II. Etwas von der Poesie. 
Die Poesie oder die Dichtkunst gehört zu den schönen Künsten 
wie die Bildhauerei, Malerei, Musik und Schauspielkunst. Ihr Dar- 
stellnngsmittel ist die Sprache. Die dichterische Sprache ist malerischer 
und musikalischer als die Prosa; jene ist gebundene, diese unge¬ 
bundene Rede. 
Das Malerische erhält die Poesie durch Auslassungen von Satz¬ 
teilen (Wanderlied Nr. 113; Kochend wie ans Ofens Rachen re., Glocke, 
Nr. 195), Häufungen von Bindewörtern (Und drinnen waltet re., Glocke, 
Nr. 195), Wiederholungen desselben Wortstammes (Erlkönig, Nr. 178; 
Schloß Boncourt, Nr. 68), Nachahmung von Naturlauten (Bürgschaft, 
Nr. 192; Taucher, Nr. 194), Steigerungen (Und was er sinnt re., 
Sängers Fluch, Nr. 206), schmückende Beiwörter (Glocke), Wort¬ 
versetzungen, Ausrufe, Fragen,Anreden (Hurra, Germania, Nr. 58). 
bildliche Ausdrücke (goldene Frucht, Lenz des Lebens, lachende Flur), 
Gleichnisse (Wie in den Lüften re., Graf von Habsburg, Nr. 32), 
Vertauschungen (Sonne statt Tag, Zunge statt Sprache, Blei statt 
Kugel, Schwelle statt Haus), Personifikationen (Das Unglück schreitet 
schnell — Heil'ge Ordnung, segensreiche Himmelstochter rc., Glocke.) 
Das Musikalische erhält die Poesie durch Hebungen und Sen¬ 
kungen, Versfüße (die wichtigsten sind der Iambus^ -, Trochäus - -, 
Spondeus - -, Daktylus - - -, Anapäst - - -), Verse, Reime 
(man unterscheidet Stabreime: Herz und Hand, Stimmreime: Tag und 
Nacht, männliche Vollreime: Glanz und Kranz, weibliche Vollreime: 
glänzen, kränzen), Strophen (besonderen Strophenbau haben das 
Sonett (Nr. 62), das Ghasel (Nr. 161), die Glosse (Nr. 179). 
Die Dichtungen teilt man ein in 
a. lyrische, das sind sangbare, die Innenwelt des Dichters dar¬ 
stellende Dichtungen, wie das Lied (Nr. 113, 117, 123, 181), die Elegie 
*) Ausführlicheres siehe in dem Schriftchen: „Deutsche Sprache und 
Dichtung" von Hugo Weber. 40 Pf. Leipzig, Jul. Klinkhardt. 
Weite Welt. 7. und 8. Schuljahr. N. 0. 26
	        
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