Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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Da die Mitglieder des Reichstages bei ihren Beratungen das 
ganze deutsche Volk vertreten, hat inan ihnen auch in der nötigen 
Weise Schutz gewährt. Es darf nämlich kein Mitglied des Reichs¬ 
tages wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines 
Berufes als Abgeordneter getanen Äußerungen gerichtlich zur Ver¬ 
antwortung gezogen werden. Die Abgeordneten dürfen während 
der Dauer des Reichstages wegen einer strafbaren Handlung nicht 
in Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, sie 
würden bei Ausübung der Tat oder int Laufe des nächsten Tages 
ergriffen. 
Wie der Kaiser den Reichstag eröffnet, so schließt er ihn auch, 
wenn die Zeit gekommen ist. Wenn zwischen dem Bundesrate und 
dem Reichstage so tiefe Gegensätze vorhanden sind, daß sich beide 
über die in Frage stehenden wichtigen Angelegenheiten nicht einigen 
können, wenn die Regierung glaubt, mit den vorhandenen Abge¬ 
ordneten nicht zu einem glücklichen Ende zu kommen, dann kann 
der Bundesrat unter Zustimmung des Kaisers die Auflösung des 
Reichstages beschließen. Ist dies geschehen, so müssen biitnen 60 
Tagen Neuwahlen erfolgen. Dann ist wieder in die Hand des 
Volkes die Macht gelegt, durch die Wahl der Abgeordneten die 
Geschicke des deutschen Volkes bestimmen zu helfen. Möge die Nation 
sich bei diesen Gelegenheiten stets von heiliger Liebe zum Vaterlande 
leiten lassen. Hoch über den wechselitden Meinungen des Tages 
muß uns stets das Reich stehen, unter dessen mächtigem Schutze 
ein jeder seiner Eigenart leben kann. 
136. Die deutschen Fürsten. 
Das deutsche Volk hat eine alte Geschichte. Im Lattfe seiner 
oft stürmischen Entwicklung hat es sich in verschiedene Staaten 
getrennt. An der Spitze jedes dieser Länder steht, von Elsaß- 
Lothringen und den drei freien Städteit abgesehen, ein Fürst. In 
den Händen desselben ruht ein großer Teil der Macht des Staates. 
Dieser Monarch wird nicht gewählt, sondern nach dem Tode des 
regierenden Fürsten tritt ohne weiteres derjenige Prinz an seine 
Stelle, der ihm am nächsten steht. Der Thron ist also erblich. 
Es folgt gewöhnlich der älteste Sohn dem Vater in der Regierung. 
Ist ein Sohn nicht vorhanden, so übernimmt der älteste Bruder, 
Neffe oder sonst nächstverwandte Priitz das Regiment. 
Die deutschen Fürstengeschlechter walten alle seit Jahrhunderten 
ihres verantwortungsvollen Amtes. Die Glieder derselben habeit 
sich redlich bemüht, die Zustände in ihren Ländern zu heben. Es 
besteht infolgedessen zwischen den Bewohnern der deutschen Staaten 
und ihren Fürsten ein inniges Verhältnis, das auf gegenseitigem 
Vertrauen beruht. Fürsten und Bürger haben gute und schlimme
	        
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