9. Aus Schillers Glocke.
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Voll von Tisch und Gestühl, Schreibzeug und bezifferten Tafeln,
Wo sie an Pflöck' aufhängte die nordische Wintervermnmmung,
Mäntel, mit Flocken geweißt, und der Tochter bewunderten Leibpelz, 200
Auch den Flor, der die Wangen geschirmt, und das seidene Halstuch.
Und sie umschloß die Enthüllten mit strömender Thräne der Inbrunst:
„Tochter und Sohn, willkommen! aus Herzen willkommen noch einmal!
Ihr, uns Alternden Freud', in Freud' auch altert und greifet,
Stets einmütigen Sinns und umwohnt von gedeihenden Kindern! 205
Nun mag brechen das Auge, da dich ivir gesehen im Amtsrock,
Sohn, und dich ihm vermählt, du frisch aufblühendes Herzblatt!
Armes Kind, wie das ganze Gesicht rot glühet vom Ostwind!
O du Seelengesicht! Denn ich duze dich, weil du es forderst!
Aber die Stub' ist warm, und gleich soll der Kaffee bereit sein!" 210
Ihr um den Nacken die Arme geschmiegt, liebkoste die Tochter:
„Mutter, ich duze dich auch, wie die leibliche, die mich geboren;
Also geschah's in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war;
Denn du gebarst und erzogst mir den wackern Sohn Zacharias,
Der an Wuchs und Gemüt, wie er sagt, nachartet dem Vater. 215
Mütterchen, habe mich lieb; ich will auch artiges Kind sein.
Fröhliches Herz und rotes Gesicht, das hab' ich beständig,
Auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals,
Klopfend die Wang', ich würde noch krank vor lauter Gesundheit!"
Jetzo sagte der Sohn, sein Weib darstellend der Mutter: 220
„Mütterchen, nehmt sie auf Glauben. So zart und schlank, wie sie dasteht,
Ist sie mit Leib und Seele vom edelsten Kerne der Vorwelt.
Daß sie der Mutter nur nicht das Herz abschwatze des Vaters!
Komm denn und bring als Gabe den zärtlichsten Kuß zum Geburtstag!"
Schalkhaft lächelte drob und sprach die treffliche Gattin: 225
„Nicht zur Geburtstagsgabe! Was Besseres bring ich im Koffer
Unserem Vater zur Lust und dem Mütterchen, ohne dein Wissen!"
Sprach's und faßte dem Manne die Hand; die führende Mutter
Öffnete leise die Thür' und ließ die Kinder hineingehn. 230
Aber die junge Frau, voll Lieb' im lächelnden Antlitz,
Hüpfte voraus und küßte den Greis. Mit verwunderten Augen
Sah er empor und hing in der trautesten Kinder Umarmung.
Joh. Heinr. Voß.
9. Aus SchMers Gkocke.
Dem dunklen Schoß der heil'gen Erde
vertrauen wir der Hände That,
vertraut der Sämann seine Saat
und hofft, daß sie entkeimen werde
zum Segen nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
wir trauernd in der Erde Schoß
und hoffen, daß er aus den Särgen
erblühen soll zu schönerm Los.
Von dem Dome,
schwer und bang,
tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! die Gattin ist's, die teure,
ach! es ist die treue Mutier,
die der schwarze Fürst der Schatten