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KinderleiTtuncj und Kulturarbeit. 
verschiedene Auffassung der Arbeitsschule. 
Die Küfer um die Schulreform scheiden sich grundsätzlich in drei 
Lager. Je nach ihrer Stellung zur Schülerarbeit verteidigen sie ent¬ 
weder nur die Entwicklung unvollkommener K i n d e r l e i st u n g 
oder nur die Nachahmung fertiger Kulturarbeit, oder sie verlangen 
als Vermittler zwischen beiden Gegensätzen die lhoherbildung der ge¬ 
leiteten Kindertätigkeit zur Nr beit der Kulturumgebung. 
Die erste Gruppe führt N 0 u s s e a u im Lanner, den Propheten 
der ,,Naturerziehung", und die predigerin seiner Erneuerung, Ellen 
K e p, die im ,,Jahrhundert des Kindes" wünscht, ,,es müßte eine Sint¬ 
flut der Pädagogik kommen, bei der die Nrche nur Montaigne, Nousseau, 
Spencer und die neue kinderpspchologische Literatur zu enthalten 
brauchte." Diese ,,Flut" würde dann wohl alle ,,Wortgötzen", wie 
Gedächtniskram, Sprachformalismus, Nechtschreibplage, Bücherdeutsch, 
Nachahmung, Zwang und Strafe, überhaupt alle Erziehungsideale 
außerhalb des Kindes, in der religiösen, sittlichen, politischen und sozialen 
Welt der Großen, hinwegräumen und die ,,Nrche" mit der alleinigen 
Majestät des Kindes, seiner individuellen Persönlichkeit, seiner Sprache, 
seinem bildnerischen und schöpferischen Nusdruck zum Lichte tragen. 
Nur in der Vollendung der Jugend selbst liegt das Ziel dieser Er¬ 
ziehung, und auf dem Wege hiezu will sie ,,ruhig und langsam die 
Natur sich selbst helfen lassen und nur sehen, daß die umgebenden 
Verhältnisse die Nrbeit der Natur unterstützen." Sich ,,ausleben", in 
Sturm und Drang, ohne schulische Beschränkung und fremden Willen, 
setzen noch Nomanschriststeller nnd Laienpädagogen hinzu. 
So zieht die reine Sndividualpädagogik die letzten Folgerungen 
aus einer Gesellschaftsflucht, die im heutigen Kulturleben des deutschen 
Volkes weder berechtigt noch möglich ist. Nousseau stand keiner be¬ 
friedigenden staatlichen Organisation, vielmehr einer Gesellschaftsstuse 
gegenüber, der er seinen Zögling vielleicht mit Necht entfremden durfte; 
die gegenwärtige Staatsordnung aber umfaßt ein Gemeinschaftsleben, 
dessen Einfluß auch das heranwachsende Kind nicht entzogen werden 
kann. Selbst der Nusdruck der kindlichen Naturanlage, die ,,reine" 
Schülerleistung, trägt in der Massenschule schon durch die unbeabsichtigte 
Einwirkung der Umgebung, der Lehrmittel, der Bücher, der Kameraden 
und des Lehrers soziales Gepräge. Bleibt also die unbedingte Selbst¬ 
herrlichkeit der Jugend ein theoretisches Schema, so könnten wohl auch 
die wenigen praktischen Schulleute, die dem erneuerten Evangelium 
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