161
Schnee knistert ordentlich bei jedem Schritte", sagte er, „man wagt sich kaum
auf die Straße."
Er sprach noch, da hörten die Kinder ein Geräusch am Fenster — pick,
pick, pick! ging es, als ob jemand klopfte. Sie gingen hin und erblickten ein
wunderliebliches Vögelchen, das sich mit den kleinen Füßchen an das Fenster¬
brett geklammert hatte und mit dem Schnabel an die Scheibe pickte. Es
zitterte vor Kälte und blickte gar bittend in die Stube.
„Du lieber Gott." rief Franziska, „wie das arme Tierchen friert!
Schnell will ich es hereinlassen." Sie öffnete das Fenster, und ganz ohne
Scheu, vor Freude zwitschernd, flatterte der Vogel in die warme Stube, flog
eiu paarmal darin hin und her, als ob er sich recht durchwärmen wollte, und
setzt sich dann auf deu Tisch, vor die Kinder hin.
„Es ist hungrig, das arme Tierchen," riefen beide Kinder, und Franziska
holte schnell Brot aus dem Schranke, zerbröckelte es und gab es dem Vogel
hin. Ei. wie fiel das hungrige Geschöpfchen darüber her! In wenigen
Minuten hatte es alles bis auf das letzte Krümchen verzehrt lind putzte sich
mit dem Schnabel sein buntes Gefieder.
Die Kinder hatten sich umfaßt und sahen mit fröhlichem Gesichte dem
Tierchen zu, das sie dann und wann mit hellen Augen anblickte und ein
munteres Lied zwitscherte. —
„Was mag es nur für ein Vogel sein?" fragte Franziska.
„Ein Stieglitz ist es," sagte Julius. „Du kannst ihn an dem Flecken
über dem Schnabel erkennen und an den gelben Federn an den Flügeln.
Er singt gewiß allerliebst. Wir wollen ihn in einen Käfig setzen und an das
Fenster hängen."
So geschah es. Sie suchten den Käfig, hingen zwei Näpfchen hinein, eins
für das Futter, das andere für das Wasser, und setzten den Stieglitz hinein.
Doch ließen sie die Tür offen, damit er nach Belieben herausfliegen konnte.
Der Stieglitz schien sich in dem Käsig ganz wohl zu fühlen, und wurde
nach und nach so zahm. daß er den Kindern, wenn sie „Mätzchen. Mätzchen!"
riefen, ohne Furcht auf deu Finger flog und ihnen mit dein Schnabel Brot-
krümchen oder ein Stückchen Zucker aus dem Munde nahm. Das machte
den Kleinen viel Spaß. und bald wurde der Vogel ihneu lieber als alles
Spielzeug.
I!
Als nun der liebe Frühling kam und die Bäume des Waldes sich mit
frischem Grün bekleideten, sagte die Mutter: „Hört. Kinder, jetzt würde es
eurem Stieglitze gewiß besser im Freien gefallen, als bei uns in der Stube.
Laßt ihn fliegen, am Ende stirbt er gar im Käfige, und das wäre doch schade!"
Julius und Franziska trennten sich von ihrem Vögelchen gar ungern;
weil sie es aber so lieb hatten, um es zu quälen, rief das Mädchen: „Mätzchen,
ii