Leichenrede suchen diese Anschauungen zu verkörpern; immer von neuem
führt die Tragödie in den Gestalten des Theseus und der Athena dem
Volk die sittlichen Ideale vor, an die es glaubt oder wenigstens
glauben möchte. Einzelne Zweifel und Spöttereien mochte man dulden;
aber als Diagoras von Melos, ein Dichter, der früher selbst die Macht
der Götter verherrlicht hatte, durch trübe Lebenserfahrungen verführt,
in einer Schrift das Dasein der Götter leugnete, da sie die Frevel
der Menschen unbestraft ließen, ächtete man ihn für das ganze Reichs¬
gebiet wie die Tyrannen und die medischen Unterhändler und setzte
einen Preis auf seinen Kopf; auch die Peloponnesier forderte man auf,
an seiner Verfolgung teilzunehmen.
Der herkömmliche Iugendunterricht in Athen war durchaus auf
die Ideale der alten Zeit gerichtet; was in andern Staaten Allein¬
besitz des Adels oder der Reichen war, sollte er dem gesamten Volke
übermitteln. Gymnastische und musische Ausbildung waren die Auf¬
gaben der Erziehung. Der junge Athener lernte Turnen und andere
körperliche Übungen als Vorbereitung für die Wettkämpfe und den
Krieg, Tanzen, Singen und Zitherspiel, Lesen und Schreiben und die
Kenntnisse der Schätze der alten Poesie. An ihnen bildeten sich zu¬
gleich die religiösen und sittlichen Anschauungen; die großen Dichter
waren die inspirierten Verkünder aller höheren Weisheit und aller Moral.
Damit war der Knabe, so glaubte man, genügend vorbereitet für die
Ausübung seiner Bürgerpflichten. Was er außer der Einprägung der
sittlichen Grundsätze noch etwa nötig hatte, um ein Amt zu bekleiden
oder in der Volksversammlung zu wirken, das ließ sich nicht lehren,
er mußte es aus Eignem erwerben oder sich an dem Beispiel der Älteren
bilden; und was er für sein Gewerbe brauchte, lernte er vom Vater
oder vom Lehrmeister. Der Gedanke einer methodischen Schulung für
das praktische Leben lag der Erziehung ebenso fern wie der einer
Schulung des Verstandes oder gar einer Übermittelung wissenschaftlicher
Kenntnisse. Auch das spätere Leben bot dazu zunächst noch wenig An¬
laß. Man vernahm wohl von den seltsamen Männern, die in der
Fremde, in Ionien und Italien, eine wunderliche Weisheit verkündeten
und alle Dinge im Himmel und auf Erden gar anders erklärten, als
die geheiligte Tradition lehrte, man verspürte auch wohl eine mit un¬
heimlicher Scheu gemischte Neugierde, etwas Genaueres davon zu er¬
fahren, und wenn einzelne von ihnen, wie Parmenides und Zeno aus
Elea und später Diogenes von Apollonia und Hippo von Samos, nach