Object: Für Klasse 2 (neuntes Schuljahr) und die Obertertia der Studienanstalten (Teil 8, [Schülerband])

Leichenrede suchen diese Anschauungen zu verkörpern; immer von neuem 
führt die Tragödie in den Gestalten des Theseus und der Athena dem 
Volk die sittlichen Ideale vor, an die es glaubt oder wenigstens 
glauben möchte. Einzelne Zweifel und Spöttereien mochte man dulden; 
aber als Diagoras von Melos, ein Dichter, der früher selbst die Macht 
der Götter verherrlicht hatte, durch trübe Lebenserfahrungen verführt, 
in einer Schrift das Dasein der Götter leugnete, da sie die Frevel 
der Menschen unbestraft ließen, ächtete man ihn für das ganze Reichs¬ 
gebiet wie die Tyrannen und die medischen Unterhändler und setzte 
einen Preis auf seinen Kopf; auch die Peloponnesier forderte man auf, 
an seiner Verfolgung teilzunehmen. 
Der herkömmliche Iugendunterricht in Athen war durchaus auf 
die Ideale der alten Zeit gerichtet; was in andern Staaten Allein¬ 
besitz des Adels oder der Reichen war, sollte er dem gesamten Volke 
übermitteln. Gymnastische und musische Ausbildung waren die Auf¬ 
gaben der Erziehung. Der junge Athener lernte Turnen und andere 
körperliche Übungen als Vorbereitung für die Wettkämpfe und den 
Krieg, Tanzen, Singen und Zitherspiel, Lesen und Schreiben und die 
Kenntnisse der Schätze der alten Poesie. An ihnen bildeten sich zu¬ 
gleich die religiösen und sittlichen Anschauungen; die großen Dichter 
waren die inspirierten Verkünder aller höheren Weisheit und aller Moral. 
Damit war der Knabe, so glaubte man, genügend vorbereitet für die 
Ausübung seiner Bürgerpflichten. Was er außer der Einprägung der 
sittlichen Grundsätze noch etwa nötig hatte, um ein Amt zu bekleiden 
oder in der Volksversammlung zu wirken, das ließ sich nicht lehren, 
er mußte es aus Eignem erwerben oder sich an dem Beispiel der Älteren 
bilden; und was er für sein Gewerbe brauchte, lernte er vom Vater 
oder vom Lehrmeister. Der Gedanke einer methodischen Schulung für 
das praktische Leben lag der Erziehung ebenso fern wie der einer 
Schulung des Verstandes oder gar einer Übermittelung wissenschaftlicher 
Kenntnisse. Auch das spätere Leben bot dazu zunächst noch wenig An¬ 
laß. Man vernahm wohl von den seltsamen Männern, die in der 
Fremde, in Ionien und Italien, eine wunderliche Weisheit verkündeten 
und alle Dinge im Himmel und auf Erden gar anders erklärten, als 
die geheiligte Tradition lehrte, man verspürte auch wohl eine mit un¬ 
heimlicher Scheu gemischte Neugierde, etwas Genaueres davon zu er¬ 
fahren, und wenn einzelne von ihnen, wie Parmenides und Zeno aus 
Elea und später Diogenes von Apollonia und Hippo von Samos, nach
	        
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