Selbstverwaltung.
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leitung, Schlacht- und Viehhöfe, Armenpflege, Polizeiverwaltung, Krankenhäuser. Die
meisten Städte besitzen auch gewinnbringende Anlagen: Gasanstalten, Elektrizitätswerke,
Straßenbahnen. Die Städte erheben besondere Steuern.
Steins Absicht war, die Selbstverwaltung auch auf das Land zu übertragen:
Er verlangte freie Landgemeinden mit Schulzen und Dorfgerichten.
In den Kreisen sollte neben den Landrat der Kreistag treten; in den
Provinzen neben den Oberpräsidenten die Provinzialstände und aus den
Provinzialständen sollten die preußischen Reichsstände gewählt werden
zur Stütze der Krone.
Stein legte großen Wert darauf, daß er seinen ganzen Verfassungsplan auf
freies Eigentum gründete; in Stadt und Land wollte er das Wahlrecht
allen freien Eigentümern geben.
Die Pläne konnten damals noch nicht verwirklicht werden und sind zum
Teil erst vor wenigen Jahren durchgeführt.
Erst als das neue deutsche Kaiserreich 1870/71 gegründet und ausgebaut
war, wurden die Pläne des Freiherrn vom Stein wieder aufgenommen. Dies
geschah — für Preußen — durch die Kreisordnung (1872—1889), durch die
Provinzialordnung (1875) und durch die Landgemeindeordnung (1891 — 1900).
Dadurch hat die kleinste Gemeinde eine gewisse Selbstverwaltung erhalten und
die Kreise und Provinzen sind heute nicht nur Verwaltungsbezirke, sondern mehr
noch Organe der Selbstverwaltungl):
a) Jede La ndgemeind e wählt sich selbst ihren Vorsteher und ihre Ge-
meindevertreter. Gemeindeangelegenheiten find das Schulwesen, der Wegebau, die Polizei,
das Armenwesen. Die Gemeinde hat das Recht der Selbstbesteuerung; sie verwaltet den
gemeinsamen Besitz und beschließt über die Verwendung der Einnahmen; im Interesse der
Viehzucht, des Acker- und Obstbaues trifft sie gemeinnützige Anordnungen.
b) Über den Gemeinden steht der Kreis. Der Landrat ist heute nicht nur Beamter
der Staatsverwaltung, sondern mehr noch Leiter der Kreis- Selbstverwaltung. Zur Be¬
ratung der Kreisangelegenheiten tritt der Kreistag zusammen, der aus Vertretern der
Städte, der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden besteht. Für die laufenden Geschäfte
wird ein Kreisausschuß von 6 Mitgliedern gewählt, der dem Landrat zur Seite steht.
Der Kreistag ist befugt, bindende Beschlüsse zu fassen und Verordnungen zu erlassen
über gemeinsame Angelegenheiten des Kreises
e) Der Provinziallandtag besteht aus Abgeordneten der Kreistage und der
Stadtkreise, wird vom Oberpräsidenten berufen und berät über die gemeinsamen Angelegen¬
heiten der Provinzen: Landarmenwesen, Landesbrandwehr, Wegebau, Landesmeliorations¬
und landwirtschaftliches Unterrichtswesen, Unterbringung verwahrloster Kinder, Irren-, Taub¬
stummen- und Blindenwesen, Erhaltung der Altertümer und Denkmäler.
9 Anm. des Herausgebers: Steins Idee der Selbstverwaltung fand in ganz Deutschland
Eingang. Bei gleichem Grundgedanken ist die Durchführung im einzelnen und die Bezeichnung
freilich verschieden. In Bayern z. B. kommen folgende 3 Selbstverwaltnngskörper in Betracht:
a) Gemeinde, b) Distriktsgemeinde (Organe: Distriktsrat u. Distriktsausschuß), c) Kreis¬
gemeinde, deren Bezirk mit dem des Regierungsbezirkes zusammenfällt, (Organe: Landrat u.
Landratsausschuß).
Bauerschmidt, Lesebuch.
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