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Heimatkunst und Dorfgeschichte.
„Strich, Strüh —
Die ahlt öss verbrannt,
die neu könnt ent Land!"
Alle rutschten vom Stein herunter, faßten sich an den Händen und
5 tanzten einen mutwilligen Ringelreihen um den langsameren Gerret. Der
Huppert packte ihn bei den Schultern und drehte ihn herum, so geschwind,
so rasend rasch, daß ihm Sehen und Hören verging, daß er schwindelig
wurde und, halb lachend, halb zeternd zu Boden taumelnd, die Augen schloß.
Als er wieder klar sehen konnte, waren die Kinder fort. Er rief nach
10 ihnen — ein Kichern antwortete. Dann hörte er nichts mehr. Ihre Maße
hatten sie mitgenommen; auch sein Maß. Und nun war es auf einmal
Nacht.
Gerret fühlte seinen Atem stocken, aber er schrie noch, schrie: „Huppert!
Klos! Karel! Ka—rel!"
i5 Ein langes Hallen echote nach.
War da jemand?! Er rannte um den Stein herum — huh, da war
das Grauen, das Venn selber! Und es sagte: „Still!"
Der Knabe wagte keinen Laut mehr. An die steinerne Bettstatt ge¬
drückt, kauerte er sich nieder und riß die Angen weit ans.
so Seine Gedanken jagten: wenn er jetzt fortliefe, rasch, rasch?! Ach, er
konnte ja nicht! Eine Faust reckte sich aus dem Boden und hielt ihn fest.
Wild pochte sein Herz gegen den harten Fels. Und wie kalt war der!
Gerret fror, daß ihm die Zähne klapperten. Seine nackten Füße waren
ganz erstarrt und seine Hände auch.
25 Ob sie ihn nicht vermissen würden zu Haus? Ob sie ihn nicht suchen
würden, holen kommen würden, der Großvater oder die Mutter?!
Ein Schluchzen würgte ihn, aber er traute sich nicht, laut heraus¬
zuweinen; nur seine Lippen zitterten.
Jetzt konnte er gar nichts mehr denken; alles war weg. Nur nicht
so das Venn, das Venn!
Unermeßlich war das, größer als die ganze Welt. Immer sah er's,
auch wenn er die Augen schloß — nein, nicht zumachen; lieber sehen, sehen,
was da geschieht!
Die Fledermäuse huschten auf; aus den Ritzen und Spalten der Bett-
»5 statt flatterten sie und streiften dem Knaben das Gesicht. Aber die schreckten
ihn nicht — die waren ja lebendig — nur das Starre, das Tote, das vor
ihm lag, entsetzte ihn. Es war tot und hatte doch eine Stimme — es
war ein Gespenst!
„Gerret! Gerret!"
40 Er glaubte flüstern zu hören; durch die Nacht ging ein Raunen.
Jetzt hörte er's noch deutlicher: „Gerret! Gerret!"
Er machte sich so klein, als er nur konnte, zog die Beine ganz unter
sich und quetschte den schlanken Körper in eine Rinne des Gesteins. Daß
es ihn nur nicht fand — weh, o weh!