Gotthold Ephraim Lessing. 
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Grundsätze sind ebenso wahr und gewiß, nur freilich nicht so fa߬ 
lich, und daher mehr der Schikane ausgesetzt als alles, was diese 
enthalten. Besonders getraue ich mir von der Tragödie, als über 
die uns die Zeit so ziemlich alles daraus gönnen wollen, unwider- 
5 sprechlich zu beweisen, daß sie sich von der Richtschnur des 
Aristoteles keinen Schritt entfernen kann, ohne sich ebenso weit 
von ihrer Vollkommenheit zu entfernen. 
Nach dieser Überzeugung nahm ich mir vor, einige der be¬ 
rühmtesten Muster der französischen Bühne ausführlich zu beur- 
10 teilen. Denn diese Bühne soll ganz nach den Regeln des Aristoteles 
gebildet sein; und besonders hat man uns Deutsche bereden wollen, 
daß sie nur durch diese Regeln die Stufe der Vollkommenheit erreicht 
habe, auf welcher sie die Bühnen aller neuern Völker soweit unter 
sich erblicke. Wir haben das auch lange so fest geglaubt, daß bei 
15 unsern Dichtern, den Franzosen nachahmen, ebensoviel gewesen 
ist, als nach den Regeln der Alten arbeiten. 
Indes konnte das Vorurteil nicht ewig gegen unser Gefühl be¬ 
stehen. Dieses ward glücklicherweise durch einige englische Stücke 
aus seinem Schlummer erweckt, und wir machten endlich die Er- 
20fahrung, daß die Tragödie noch einer ganz andern Wirkung fähig 
sei, als ihr Corneille und Racine zu erteilen vermocht. Aber ge¬ 
blendet von diesem plötzlichen Strahle der Wahrheit prallten wir 
gegen den Rand eines andern Abgrundes zurück. Den englischen 
Stücken fehlten zu augenscheinlich gewisse Regeln, mit welchen 
25 uns die französischen so bekanut gemacht hatten. Was schloß man 
daraus? Dieses: daß sich auch ohne diese Regeln der Zweck der 
Tragödie erreichen lasse, ja daß diese Regeln wohl gar schuld sein 
könnten, wenn man ihn weniger erreiche. 
Und das hätte noch hingehen mögen! — Aber mit diesen 
30 Regeln fing man an, alle Regeln zu vermengen und es überhaupt 
für Pedanterei zu erklären, dem Genie vorzuschreiben, was es tun 
und was es nicht tun müsse. Kurz, wir waren auf dem Punkte, 
uns alle Erfahrungen der vergangenen Zeit mutwillig zu ver¬ 
scherzen und von den Dichtern lieber zu verlangen, daß jeder die 
35 Kunst aufs neue für sich erfinden solle. 
Ich wäre eitel genug, mir einiges Verdienst um unser Theater 
beizumessen, wenn ich glauben dürfte, das einzige Mittel getroffen 
zu haben, diese Gärung des Geschmacks zu hemmen. Darauf 
los gearbeitet zu haben, darf ich mir wenigstens schmeicheln, indem 
40 ich mir nichts angelegener sein lassen, als den Wahn von der 
Regelmäßigkeit der französischen Bühne zu bestreiten. Gerade keine 
Nation hat die Regeln des alten Drama mehr verkannt als die 
Franzosen. Einige beiläufige Bemerkungen, die sie über die schick¬ 
lichste äußere Einrichtung des Drama bei dem Aristoteles fanden, 
45 haben sie für das Wesentliche angenommen und das Wesentliche 
durch allerlei Einschränkungen und Deutungen dafür so entkräftet,
	        
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