Full text: Auswahl aus der deutschen Dichtung in ihrer geschichtlichen Entwicklung (Teil 4a = Erg.-Bd. (Poesie))

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7. Nicht fröhlicher, weiblicher, kühner 
Schwang vormals der braune Sabiner 
Mit männlicher Freiheit den Hut. 
O reizet die Städte zum Neide, 
Ihr Dörfer voll hüpfender Freude! 
Was gleichet dem Landvolk an Mut? 
r. Das ßübncben und der Diamant, 
1. Ein verhungert Hühnchen fand 
Einen feinen Diamant 
Und verscharrt' ihn in den Sand. 
3. Unglücksel'ger Überfluß, 
Wo der nötigste Genuß 
Unsern Schätzen fehlen muß! 
„Möchte doch, mich zu erfreun," 
Sprach es, „dieser schöne Stein 
Nur ein Weizenkörnchen fein!" 
3. Der fuchs ohne Schwanz. 
1. Reinike verwirrte sich 
In die ihm gelegten Stricke, 
Und, wiewohl er selbst entwich, 
Ließ er doch den Schwanz zurücke. 
2. Um nicht lächerlich zu sein, 
Predigt' er den Füchsen ein, 
Auch den ihren abzulegen. 
Seine Hörer zu bewegen, 
Sprach er, als ein Cicero: 
„Erstlich will's der Wohlstand so, 
Um sich zierlicher zu regen: 
Denn man trabt damit zu schwer 
Und zu unbequem einher. 
Zweitens macht ein Schweif zu kenntlich. 
Drittens hält er in dem Lauf 
Oft den schnellsten Brandfuchs auf. 
Viertens riecht er vielen schändlich." — 
3. „Stumpfer Redner, schweige du," 
Rief ein alter Fuchs ihm zu; 
„Was du lehrest, wird verlachet. 
Nur der Neid ist, was dich quält, 
Der den Vorzug, der ihm fehlt, 
Andern gern zuwider machet." 
XII. Zobann MUlbelm Ludwig Gleim. 
Lesebuch II, Nr. 124: Die Eichel und der Kürbis. II, Nr. 160: Der Löwe und 
der Fuchs. II, Nr. 184: Der Hirsch, der sich im Wasser sieht. 
Ausgabe von F. Muncker. Stuttgart, Union. 
Gleim wurde 1719 zu Ermsleben bei Halberstadt geboren, studierte Rechtswissenschaft 
Zu Halle, wurde 1747 Sekretär des Domkapitels zu Halberstadt und starb daselbst 1803. 
i. Die <3ri 
1- Eine faule Grille sang 
Einen ganzen Sommer lang 
Und war immer ohne Sorgen 
Für den andern Morgen. 
Weil der Sommer Nahrung hat, 
Wurde sie auch täglich satt; 
Aber, als der Winter kam, 
Der der Flur das Leben nahm, 
Ünd nun alles öde stand 
Ünd kein Würmchen sich mehr 1 
und die Um eile. 
Sprach die faule Sängerin 
Zu der kleinen Nachbarin, 
Zu der Ameis': „Ach, ich bin 
Ja so hungrig, gib mir doch 
Ein klein wenig nur zu leben! 
Deine Kammer hat ja noch 
So viel Vorrat, und ich will 
Alles ehrlich wiedergeben 
Mit den Zinsen im April." —
	        
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