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menschliche Tätigkeit der letzte Begriffsinhalt aller echten Sprachwurzeln 
ist, aus denen die uns bekannten Sprachen hervorgegangen sind. 
Und was ist auch natürlicher, da ja eben die Tätigkeit es sicher am 
ersten war, welche den Laut erzeugte als Begleiterscheinung oder als Reflex 
der Muskelspannnng oder der innern Empfindung? 
3. Und da die Wörter nicht die Dinge selbst, sondern nur die 
Bilder dieser, wie sie sich in unserm Geiste erzeugen, bezeichnen oder, wie 
W. v. Humboldt sagt, die durch den Geist in der Spracherzeugung selbst¬ 
tätig von den Gegenständen gebildeten Begriffe darstellen und auch immer 
nur wieder einen einzelnen, charakteristischen Eindruck statt des Gesamtbildes 
der Wahrnehmung (wie ai = Faultier, ßovg (büs) bos Kuh, Gauch statt 
Kuckuck), so ist klar, daß die Wurzeln Bilder, Symbole für die wichtigsten 
Tätigkeiten der Erscheinungen werden, um diese selbst zu charakterisieren. 
So wird der Stein ein Schneidender, der Zahn ein Mahlender, Esser, der 
Fluß ein Läufer oder der Rauschende oder der Pflüger, der Wolf der 
Zerreißer, die Schlange die Kriechende, der Elefant der Zahnhabende, der 
Mond der Messer, das Morgenrot der Erwecker, der Donner der Brüller 
uff. uff. Max MüllerZ macht sehr anschaulich, wie mit einer Wurzel und 
Beibehaltung ihrer Grundbedeutung eine große Reihe von Wörtern aus 
den verschiedenen Sphären (d. h. doch nur auf dem Wege der Analogie, 
durch Metapher, Übertragung von der einen Sphäre auf die andere) ge¬ 
bildet wurden. Was ward nicht alles aus der Sanskritwurzel mar, welche 
die Tätigkeit des Zerreibens bedeutet! Krankheit und Tod und Krieg sind 
vor allem auflösende, zerbröckelnde Mächte; und so entstanden morbus und 
mors und Mars im Lateinischen, und mare als das Zerwühlende und 
licLQvaucu (märnamai) kämpfen hängen nicht minder mit mar zusammen 
wie das deutsche „mahlen". Und wer möchte die Lautsymbolik in Wörtern 
wie „gelinde", „hart", „Blitz", „piquer“, „frapper“ verkennen? Wer möchte 
zwischen lautähnlichen Wörtern Begriffsverwandtschaften nicht auffinden, 
wie zwischen zucken, zupfen, zausen, zerren, Zaun, glatt, gleißen, glänzen, 
glimmen, glühen usw.? Wir können wie psychologisch so auch etymologisch 
gar nicht umhin, das Wort als einheitliche Synthese von Bedeutung und 
Klang und Wörter von ähnlichem Klang auch als verwandt anzusehen: 
immer ist die Analogie im Spiele, sei es rein lautlich (Alliteration, 
Assonanz u. ä.), sei es durch Wahlverwandtschaft der Bedeutungen. Jede 
Wurzel war ursprünglich lautsymbolisch. 
Und so zeigt fast jedes Wort einer Sprache die deutlichen Wandlungen 
der Bedeutung, die sich vor allem auf dem Wege der Analogie, durch Über¬ 
tragung vom Besondern auf das Allgemeine, vom Sinnlichen auf das 
1) Bedeutender Sprach- und Religionsforscher (1823—1900).
	        
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