Full text: Altdeutsches Lesebuch mit Anmerkungen (1)

CaSI? Cg»? Rgj? CagS? Cgi? CsStR t^g»? Egj? Rgii t^R Cgff 205 
Waschen zugebracht; und des nächsten Morgens muß sie, wiewohl 
es früh im Jahre, vor Ostern, und nachts ein tiefer Zchnee gefallen 
ist, barfuß mit Tagesanbruch durch den Zchnee hinaus nach dem 
wilden Meergestade waten, ihre Wäsche zu vollenden. 5ln eben 
diesem Morgen aber kommen Grtwin und Herwig, Kunde einzu¬ 
ziehen, in einer Barke in die Nähe der Stelle, wo die Königstochter, 
bebend vor Frost im nassen Gewände, an der mit Eis strömenden 
Meerflut und im stürmenden Märzwinde, der ihr schönes haar ihr 
wild um Nacken und Zchultern schleudert, die Leinwand wäscht. Die 
beiden Kriegsmänner nahen sich den Jungfrauen, die sich schon auf 
die Flucht begeben wollen, und bieten ihnen den Morgengruß, den 
sie lange nicht gehört haben; denn bei Frau Gerlind ist „guten 
Morgen", „guten Bbend" teuer. Sie erkennen Gudrun in der schmach¬ 
vollen Niedrigkeit ihrer Kleidung und ihrer Magdarbeit nicht, fragen 
sie aus um Land und Leute, vernehmen, daß das Land wohl ge¬ 
rüstet und stark bewehrt sei, und man hier nur vor einem feinde, 
den Friesen (Hegelingen h, Besorgnis hege. Während der langen 
Unterredung stehen die Jungfrauen, in der herben Kälte zitternd, vor 
den fragenden Helden; diese bieten mitleidig ihnen ihre Mäntel, sich 
darin zu hüllen, aber Gudrun entgegnet: „Da soll mich Gott be¬ 
wahren, daß an meinem Leibe jemals einer Manneskleider sähe!" 
Da fragt auch ihr Bruder Grtwin, ob nicht eine Jungfrau Gudrun 
einst als Geraubte hierher gebracht worden sei, und Herwig ver¬ 
gleicht wiederholt die Züge der armen Dienstmagd mit den Zügen 
der edlen Königstochter, die einst seine Braut war; auch nennt er 
Grtwin bei Namen. „Bch," sagt Gudrun, „wenn Grtwin und Herwig 
noch lebten, sie wären längst gekommen, uns zu retten; ich bin auch 
eine von den damals Geraubten, die arme Gudrun aber ist schon 
lange tot." Da streckt der Zeelandskönig seine Hand aus: „Leid 
Ihr von den Geraubten, so müßt Ihr das Gold kennen, das ich an 
meinem Finger trage, ich bin Herwig genannt, und mit diesem Ninge 
ist Gudrun mir zu minnen verlobt worden." Da leuchten die Bugen 
der Jungfrau in Heller Freude auf, und wie gern sie auch die Zchmach der 
Dienstbarkeit verborgen hätte, sie ist überwältigt: „Das Gold ich wohl 
erkenne, denn ehedem war es mein,- so trage auch ich noch 
dieses Gold, das einst mir Herwig sandte." Hllein Bruder 
und Verlobter können nicht anders glauben, als daß sie, wie das 
> damals sich von selbst verstand, Hartmuts Gemahlin geworden sei 
nchd. Hegelinge: Zettels Mannen; Friesland zwischen vechte und Weser. 
5 
10 
15 
20 
25 
30 
35
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.