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stén ni kistentit. verit denne stúatago in lant,
Stein nicht steht. Fährt dann Gerichtstag ins Land,
20 verit mit diu vuiru viriho uuisön:
fährt mit dem Feuer die Menschen suchen:
dar ni mac denne mäk andremo helfan vora demo
da nicht mag (kann) dann Verwandter anderen helfen vor dem
müspille.
W eltbrand.
denne da$ preita uuasal allaz; varprennit,
Wenn der breite Glutregen alles verbrennt
end vuir enti luft i^ alla^ arfurpit,
und Feuer und Luft es alles wegkehrt,
imán ist denne diu marha, dar man dar eo mit
wo ist dann die Mark (Feldmark), wo man da immer mit
sinén mägon piehc?
seinen verwandten stritt?
25 diu marha ist farprunnan, diu séla stet pidungan,
die Mark ist verbrannt, die Seele steht gebannt,
ni uuek' mit uuiu pua^e: so verit si za uui^e.
nicht weiß, womit (sie) büße: so fährt sie zur Bestrafung.
22. flus Offrids Evcmgelienbudi').
(Um 868.)
Ankündigung der Geburt Jesu.
Text und Übersetzung nach Piper, Die älteste deutsche Literatur (Kürschner
Deutsche Nationalliteratur Bd. i, S. 209 ff., Berlin und Stuttgart o. I.) und
nach Braune, Althochdeutsches Lesebuch, 5. Ausl., S. 97 u. 98, Halle
1902.
Vuard áster thiu irscritan sär, so. móht es sin ein hálb iär,
Ward danach vollendet sogleich, wie es mochte sein, ein halbes Jahr,
1) Süd-rheinfränkisch. — Otfrid, Benediktinermönch des Klosters Weißen¬
burg im Elsaß, geb. um 800, Zeitgenosse Ludwigs des Deutschen. — J. S e i 1 e r,
Otfrids Evangelienbuch, bei Bötticher und Kinzel, Denkmäler der älteren
deutschen Literatur, II, 3. — Über Inhalt und Bedeutung des Evangelien¬
buches s. A. Biese, Deutsche Literaturgeschichte, Bd. 1, S. 40— 44, München,
Beck, 1907.