G. Schmoller, Entstehung und Entwickelung des Handels.
455
nach dem Königreich Sachsen 326 200, nach der Rheinprovinz 343 000,
nach Westfalen 246 100. In der Hauptsache hat sich diese Wander¬
bewegung, durch welche die Jndustriebezirke und Hafenstädte einen großen
Teil der Bevölkerungszunahme des platten Landes und namentlich des
Ostens an sich zogen, erst seit dem Ende der siebziger Jahre abgespielt,
und sie war eine wichtige Voraussetzung für die rasche Entfaltung der
deutschen Industrie in diesem Zeitraum.
51. Entstehung und Entwickelung des Kandels.
Gustav Schmoller, Grundriß der allgemeiueu Volkswirtschaftslehre I. 7- bis
10. Tausend. (Leipzig, Duncker & Humblot, 1908.)
Ein gewisser Handel und Tauschverkehr hat sich sehr frühe ent¬
wickelt. Wir kennen kaum Stämme und Völker, die nicht irgendwie
durch ihn berührt würden. Die verschiedene technische und kulturelle
Entwickelung schuf in der allerfrühesten Zeit bei einzelnen Stämmen
bessere Waren- und Werkzeuge. Die Natur gab verschiedene Produkte,
welche bei den Nachbarn bekannt und begehrt wurden. Und überall hat
sich die Tatsache wiederholt, daß der Wunsch nach solchen Waren und
Produkten Jahrhunderte, oft Jahrtausende früher lebendig wurde als
die Kunst sie herzustellen. Für viele war dies ja an sich durch die
Natur ausgeschlossen.
Der erste Handel und Tauschverkehr war nun aber lange ein
solcher ohne Händler. Schon in der Epoche der durchbohrten Steine
gelangen Werkzeuge und Schmucksachen von Stamm zu Stamm auf
Tausende von Meilen. Ein sprachloser, stummer Handel besteht noch
heute am Niger: auf den Stammgrenzen kommt man zusammen, legt
einzelnes zum Austausch hin, zieht sich zurück, um die Fremden eine
Gegengabe hinlegen zu lassen, und holt dann letztere. Innerhalb des¬
selben Stammes hindert lange die Gleichheit der persönlichen Eigen¬
schaften und des Besitzes jedes Bedürfnis des Tausches. Auch auf
viel höherer/Kulturstufe finden wir noch einen Handel ohne Händler,
wie z. B. zwischen dem Bauern des platten Landes und dem Handwerker
der mittelalterlichen Stadt lange ein solcher Austausch der Erzeugnisse
stattfindet, ein Handel zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten.
Zwischen verschiedenen Stämmen geben die Häuptlinge und Fürsten am
ehesten die Möglichkeit und den Anlaß zum Tausch; daher sind lange diese
Spitzen der Gesellschaft die wesentlich Handeltreibenden. In Mikronesien
ist heute noch dem Adel Schiffahrt und Handel allein vorbehalten; die
kleinen Negerkönige Afrikas suchen noch möglichst den Handel für sich
zu monopolisieren. Ähnliches wird von den älteren russischen Teil¬
fürsten berichtet. Die Haupthündler in Tyrus, Sidon und Israel waren
die Häuptlinge und Könige.