Full text: Dichtung des Mittelalters (Teil 1)

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Dritte Periode, von 1150—1300. 
Ich lebte frei und froh, wie eh'; 
Nun thut die Sehnsucht mir so weh. 
Daß mir das sollte nun gescheh'n, 
Und mir es war bestimmt, zu seh'n 
Den Schaden und die Schande 
In meiner Herrin Lande! 
Das ist ihr Erbteil und ihr Land; 
Zuvor stand es in meiner Hand, 
Nichts Wünschenswertes fehlte mir; 
Nun bin ich freind geworden hier. 
Wohl mag ich Klageruf erheben 
Ums holde Weib. Was soll ich leben? 
Ich bin fürwahr nichts andres wert. 
Als daß ich mit dem eig'nen Schwert 
Diese Klage des Ritters vernimmt 
gefangen sitzt. Es ist Lnnele, welche von 
angeklagt ist, weil sie einst ihrer Herrin 
sie treulos verlassen. Jwein erkennt seine 
die drei Ankläger der Jungfrau. Doch t 
Unschuldige gelangt er zu seiner Gattin, : 
ihm die Sinne von seiner Herrin Minne 
ihn von den Schmerzen, dacht' er, nicht 
müßt' er leiden bald den Tod". Durch r 
er Laudine nochmals für sich und nennt 
Freuden Ostertag". 
Mich an mir selber räche 
Und meinen Leib durchsteche. 
Da ich's mir selbst hab' angethan, 
So sollte ich auch selbst empfah'n 
Genugthuung (nun seh' ich hier 
Ein Vorbild an dem treuen Tier, 
Daß es aus Herzeleid sich 
Erstechen wollte jetzt um mich 
Und mir bewies, was Treue sei). 
Ja büßen will ich's, denn dabei 
Hat nur mein Fehl und ihre Huld 
Und große Nachsicht und Geduld 
Ohn' Ursach mir gebracht den Schmerz 
Und Trauer für ein fröhlich Herz." 
(Koch.) 
ine Jungfrau, die in einer nahen Kapelle 
drei Rittern als Verräterin auf den Tod 
einen Ritter zum Gemahl empfohlen, der 
Schuld und besiegt mit Hülfe des Löwen 
stt nach mehreren Kämpfen für bedrängte 
)on Sehnsucht verzehrt, denn „noch waren • 
tief wund bis zu dem Herzen; wenn sie 
bald erlöste und mit sich selbes tröste, so 
euiges Bekenntnis seiner Schuld gewinnt 
frohlockend die Versöhnungsstunde „seiner 
Die Legende von Gregorius vom Steine, dem mittelalterlichen 
Ödipus, ist getragen von dem Gedanken, daß auch ein großer Sünder 
durch aufrichtige Buße die Gnade Gottes wieder gewinnen könne: Gregor 
büßt durch siebzehnjährige Sühne seine und seiner Eltern Schuld; dann 
wird er als der würdigste Mann auf den päpstlichen Stuhl erhoben. 
Der arme Heinrich. 
Der arme Heinrich ist die tiefsinnigste Dichtung Hartmanns, 
eine poetische Perle in 1520 kurzen Versen, nach Uhlands Wort „eines der 
gediegensten und anmutigsten Gedichte des deutschen Mittelalters". Der 
Dichter behandelt in demselben eine deutsche Volkssage, derzufolge der 
Aussatz als eine Krankheit, die den Menschen wegen seiner Sündenschuld 
befällt, nur durch das Blut einer reinen, freiwillig sich opfernden Jung¬ 
frau geheilt werden kann. Jedoch läßt der Dichter das Opfer nicht 
vollendet werden, sondern die Heilung erfolgt aus dem Entschlüsse des 
armen Heinrich, lieber zeitlebens mit der scheußlichen Krankheit behaftet 
zu bleiben, als das unschuldige liebe Mädchen für sich hingeopfert zu
	        
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